Bauers Depeschen


Freitag, 16. August 2019, 2123. Depesche



FLANEURSALON MIT

OLIVER MARIA SCHMITT

UND VINCENT KLINK

Den nächsten und letzten Stuttgarter Flaneursalon in diesem Jahr machen wir am Montag, 25. November, im Theaterhaus. Eigentlich ein Zufallsprodukt: Der bei uns weltberühmte Satiriker und Schriftsteller Oliver Maria Schmitt, mit Martin Sonneborn und Thomas Gsella in der Titanic BoyGroup unterwegs, hatte mir mal angeboten, im Flaneursalon mitzumischen. Ich hätte mich nicht getraut, ihn zu fragen. Irgendwann wurde die Sache dann ernst, und wie‘s der Teufel will, schwirrte auf einmal auch der Name Vincent Klink herum, weil Herr Schmitt gerade bei ihm eingekehrt war. Auch Herr Klink - als Koch, Musiker und Autor Im Dauereinsatz - hatte zufällig Zeit, und so waren wir schon zu dritt. Ergänzt wird dieser Flaneursalon im Theaterhaus mit der tollen Sängerin Eva Leticia Padilla und ihrer Begleitung sowie vom famosen Rapper/Beatboxer-Duo Toba & Pheel. Der Vorverkauf läuft bereits, und ich freue mich auf einen Abend voller kontroverser Wort- und Musik-Beiträge. Womöglich wird’s lustig. Hier gibt es online Karten: VORVERKAUF - Telefonisch: 0711/4020720

 

Hört die Signale!

Ein Lied zum Tag



Die neue StN-Kolumne: Abgang im Bahnhof

JIPPIE YEAH

Noch einmal ging ich nach einem langen Spaziergang zum Bahnhof, am Tag, als die meisten Geschäfte in der Bahnhofshalle für immer dichtmachen mussten. Neben dem Nordausgang, gegenüber der schon geschlossenen Kneipe mit dem prächtigen Namen Zapfhahn, hat der Tabakladen in der hintersten Ecke noch eine Galgenfrist bis Ende des Monats erhalten. Ich studiere die Auslagen am Tresen und sehe die vielen Kautabakdosen. Seit einigen Monaten, haben mir Tabakhändler erzählt, ist der Priem wieder im Kommen. Vor allem junge Leute schieben sich die Ersatzdroge für das vielerorts verbotene Rauchen in die Backe und schlucken am Ende die Reste. Dem biologischen Fortschritt ist es zu verdanken, dass man heute fürs Tabakkauen keine Spucknäpfe mehr braucht.

Noch einmal ging ich auch in den Buch- und Presseladen des Bahnhofs, kaufte mir ein paar politische Zeitungen, die ich im spießigen Stuttgart nur selten finde, und als Krönung einen neu aufgelegten Roman von Georges Simenon. Der Mensch kann nie genug Simenon-Romane haben. Ich schlug das Buch auf, las den ersten Satz und musste grinsen: „Célita sah die Neue als Erste.“

Ach ja, das Neue. Mit der plakatierten Internetadresse „der-neue.de“ macht die Deutsche Bahn Stimmung für das milliardenschwere Immobilienprojekt Stuttgart 21 und die definitive Zerstörung des Baudenkmals Hauptbahnhof. Ihre Plakatpropaganda gipfelt in der dummdreisten, absurden Ankündigung, es entstehe „Der neue Bonatzbau“. Flankierend wurden Transparente gespannt, auf denen Sätze von Einstein und Goethe für die architektonische Fortschrittsbarbarei missbraucht werden. Selbst Konfuzius muss dafür herhalten: „Wenn du die Absicht hast, dich zu erneuern, tu es jeden Tag.“

Die plumpe Wahrheit ist: In der Halle des Gebäudes soll bis 2025 ein Vier-Sterne-Hotel einer Kette namens me and all gebaut werden, ein Unternehmen, an dem unter anderem Clemens Tönnies beteiligt ist. Der schwerreiche Fleischfabrikant lässt zurzeit sein Amt als Aufsichtsratschef des FC Schalke 04 ruhen, nachdem er Afrikaner pauschal mit rassistischen Sprüchen beleidigt hat.

Welcher Hausgeist im neuen Bahnhofshotel spukt, lässt sich auf der Homepage nachlesen, und zwar so: „Wir gehen nach Stuttgart – YEAH JIPPIE YEAH – In drei gläserne! Etagen, in den historischen Bonatzbau am Hauptbahnhof. Wer dann im Stuttgarter Hauptbahnhof ankommt, kommt auch im me and all stuttgart an. Also fast. Zentraler geht’s definitiv, überhaupt ganz und gar nicht. Und spektakulärer kaum: Die drei Etagen werden nämlich als Glaskubus ins historische Drumherum integriert und auf ein Shopping-Center gesetzt. Auch die Fassaden und alten Schalterhallen bleiben erhalten. Das wird der Hammer! Die me and all lounge wird riiiesig. Und es wird ein me and all businesscenter mit 10 Boardrooms für Meetings für bis zu 12 Teilnehmer geben. On top of all. Wir sind ja jetzt schon ein bisschen geflasht. Und können auch die Feierabend-Beats in unserer Stuttgarter Lounge irgendwie schon hören.“

Auch wir Stuttgarter Hammertypen können diese Beats aus dem Marketing-Leierkasten schon deutlich spüren. Irgendwer hat da beim Texten on top of all auf seinem Feierabend-Hirn herumgetrommelt, bis er vom Sound der Hohlräume voll geflasht war.

Heute steigt in mir keine bittere Wehmut mehr auf, wenn ich an den Bonatz-Bau denke. So viel Kultur und Geschichte, wie in diesem Fall aus Profitsucht zerstört wird, lässt keine Abschiedsgefühle mehr zu. Längst steht vom Stuttgarter Hauptbahnhof, der von 1911 bis 1928 nach den Plänen von Paul Bonatz erbaut wurde, nur noch eine bessere Ruine. Und jetzt ist nach dem Abriss des Nord- und Südflügels zu Anfang dieses Jahrzehnts auch noch die Halle dran.

Statt an berührende Szenen vom Ankommen und Weggehen an einem zutiefst menschlichen Ort erinnere ich mich deshalb an eine andere Geschichte: 2011 wurde das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt nach seiner Sanierung mit einer großen Paul-Bonatz-Ausstellung wiedereröffnet. Die FAZ schrieb damals, unser Hauptbahnhof mache deutlich, dass dieser Monumentalbau „Stuttgart mit einem Schlag in die Moderne katapultierte und dass Paul Bonatz mit einer subtilen Mischung aus bedeutungsschwangeren traditionalistischen Motiven (kantiger Werkstein, ägyptisierende Pfeilerarkaden, ein staufisch anmutender Turm) und suggestiver Sachlichkeit (rasterartige Fensterreihen, Verzicht auf Ornamentik) einen Weg zwischen Historismus und Moderne aufwies“.

In diesem Aufsatz des 2015 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Kulturkritikers Dieter Bartetzko heißt es weiter: „Zu erkennen, dass die Bauherren von Stuttgart 21 mit diesem einzigartigen Denkmal so ignorant und stumpfsinnig umgehen wie 1928 die fanatischen Funktionalisten, die den Bau als reaktionären Giganten diffamierten, bleibt dem Besucher überlassen. Oder eben nicht – denn nur mit extrem großen Scheuklappen könnte man im Deutschen Architekturmuseum die Verstümmelung des Stuttgarter Hauptbahnhofs als Lappalie abtun.“

Diese Sätze sagen alles über den politischen Umgang mit einem zentralen historischen Gebäude, einer Seele der Stadt. Vermutlich werde ich in den kommenden Tagen ein letztes Mal in den kleinen Tabakladen neben dem Nordausgang gehen und mir einen Priem aussuchen. Selbst wenn ich dann die Schnauze voll hätte: Noch ist Stuttgart 21 nicht durchgekaut, schon weil sich der Protest gegen dieses Geschäft des Größenwahns nicht einfach verbieten lässt wie das Rauchen.

 

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