Bauers Depeschen


Freitag, 27. Oktober 2017, 1864. Depesche



FLANEURSALON LIVE

Am 16. November sind wir auf Einladung im Bürgerhaus Möhringen: Thabilé & Steve Bimamisa, Loisach Marci und Timo Brunke. Karten gibt es 14 Tage vor der Veranstaltung bei der Volksbank Möhringen, Filderbahnstraße 26.

Für unseren Abend am 12. Dezember im Schlesinger gibt es inzwischen Karten am Tresen des Lokals. Es machen mit: Stefan Hiss, Timo Brunke, Thabilé & Steve Bimamisa.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



DIE NEUE STN-KOLUMNE findet man auf der Depeschenseite von diesem Samstag.



BETR.: GROHMANN

Den folgenden Text habe ich am Freitagabend bei der öffentlichen Feier zu Peter Grohmann im Theaterhaus vorgetragen:



Lieber Peter, verehrte Gäste, geschätzte Veteranen der Stuttgarter Kulturrevolution,

müsste ich ihm eine Schlagzeile widmen, würde sie lauten: „Peter Grohmann ist nicht zu fassen.“ Wie auch. Pausenlos unterwegs, wenn nicht auf der Straße, dann in Gedanken – solange sie noch frei sind. Vor langer, langer Zeit, an seinem 76. Geburtstag, hat Herr Grohmann seine „politische Biografie“ vorgestellt: „Alles Lüge außer ich“.

Diese Buchpräsentation ging im Theaterhaus über die Bühne, genau am Tag, als die Nachricht vom Tod des Rockstars Lou Reed die Runde machte. Der Zusammenhang war mir schnell klar: Lou Reed war der singende Dichter und Liebhaber seiner Stadt: der New York City Man.

Peter Grohmann ist der ruhelose Chronist und unermüdliche Wachrüttler seiner Stadt. Er ist der Stuttgart-Superman. Ein Komödiant und Marktschreier, der den Leuten etwas über ihre Stadt und damit über die Welt erzählt. Er kann Tote wecken mit seinem Oberfeldwebelorgan.

Doch bei der Lektüre seiner Biografie erfährt man nicht nur viel über Stuttgart, diesen einst ziemlich toten Kessel zwischen Hängen und Würgen. Es geht um mehr. Peter hat ja einige Stationen hinter sich seit seiner Geburt am 27. Oktober 1937 in Breslau, Schlesien. Wo immer das ist.

Als ich mit Herrn Grohmanns gerade frisch erworbener Biografie im Taxi eines Iraners saß, wurde ich Zeuge eines Radio-Quiz. Die Frage lautete: Wie hießen die Geschwister, die als Studenten während der Hitler-Diktatur in München Flugblätter gegen die Nazis verteilten? A) Stauffenberg? B) Elser? C) Scholl? Am Telefon witzelt eine junge Frau, ihr Lehrer habe ihr schon beim Abitur gesagt, sie sei schlecht in Geschichte. Deshalb könne sie nur raten.

Diese Art Geschichtsbewusstsein nennt man heute auch Zeitgeist. Gewissen Politikern gefällt diese Ahnungs- und Interessenlosigkeit. Sonst würde es beispielsweise nicht so lange dauern, im Hotel Silber, der ehemaligen Gestapo-Zentrale, einen Lernort zur Auseinandersetzung mit den alten und neuen Faschisten einzurichten. Etwas schneller ging es bekanntlich, in der Nachbarschaft neue Konsumklötze hochzuziehen.

Peter Grohmann ist einer, der seit jeher mit Ideen und Aktionen gegen die Verdrängung, gegen die Verleugnung und Vertuschung unserer Geschichte kämpft. Den Wegschauern legt er Stolpersteine in den Weg. Albrecht Müller hat mal in seinem Internetmagazin „Nachdenkseiten“ geschrieben: „Peter Grohmann ist ein bewundernswerter Demokrat. Er hat zusammen mit Freunden Die Anstifter e. V. geschaffen – ein Modell für Ähnliches in anderen Städten und Regionen, wenn es denn Grohmanns überall gäbe.“

Mehr Lob geht eigentlich nicht. Anderseits stellt sich die Frage: Sollte es tatsächlich überall einen Grohmann geben? Das wäre irgendwie beschissen. Den einzigen und wahren Grohmann, dieses außerirdische Schlitzohr der außerparlamentarischen Opposition, gibt es eben nur bei uns. Wir haben das Unikat. Auf der Bühne und auf der Straße. Wobei ich nicht weiß, wie er die Sache selber sieht: Ist die Straße seine wahre Bühne – oder die Bühne die Fortsetzung seiner Straße, seines Wegs?

Spielt keine Rolle. Hauptsache, Theater. Der Vorhang muss hoch, das Publikum wartet. Oft haben die Stücke dieser Rampensau auch leise, lyrische, unter die Haut gehende Töne. Er hat seinen Herwegh gefressen und ist selbst eine Art „Eiserne Lerche“ geworden – tiriliert nur weniger lerchenhaft Schwäbisch als eisenhart Sächsisch.

Ich muss Ihnen nicht erzählen, dass Herr Grohmann das Theaterhaus mitbegründet hat, Anfang der Achtzigerjahre in Wangen, als einige Herrschaften im Rathaus noch der Meinung waren, alternative Kultur sei ein anderes Wort für RAF. Solche Zeiten überlebt ein rebellischer Kopf nur mit Humor. Peter Grohmann ist Komiker, Satiriker, Kabarettist – und sich deshalb für keine Nummer zu schade, wenn's der Wahrheitsfindung dient.

Wer ihn Montag für Montag auf der Demo gegen Stuttgart 21 mit seiner roten Baseballmütze und seiner womöglich doppelbödigen Sammelbüchse trifft, erlebt einen Gaukler, einen Straßenprediger, einen gottverdammt guten Lautsprecher, der bei jedem Bullen mit Restanstand Immunität genießt. Dann verteilt Peter der Große seinen auf gelbem Papier gedruckten „Bürgerbrief“, und wir erfahren, was Oma Glimbzsch aus Zittau über die Leute denkt, wenn sie gerade Thüringer Klöpse kocht. Somit entspricht es der Wahrheit, wenn behauptet wird: Grohman, die gelbe Gefahr, verkauft ohne mit der Wimpe zu zucken auch seine tote Großmutter, wenn‘s der Aufklärung dient.

Bis heute ärgert ihn, dass man ihn in den Sechzigern oft für einen Studenten gehalten hat, für einen Theoretiker und Hörsaal-Revoluzzer. Unsinn. In Wahrheit ist er Arbeiter, gelernter Schriftsetzer und Buchdrucker. Ein Schüler großer Stuttgarter Antifaschisten wie Fritz Lamm, Eugen Eberle, Willi Hoss. Mit ihnen besprach er die Weltlage im Club Voltaire, mitten auf dem Strich des rot ausgeleuchteten Leonhardsviertels.

Und er ist ein Hooligan und Ultra, der während des Vietnamkriegs mit Freunden im Neckarstadion beim Spiel zwischen Stuttgart und Dortmund das Transparent entrollte: „Borussia grüßt die Kumpel von Hanoi. – Der VfB grüßt den tapferen Vietcong.“

Peter ist auch Multi-Agent. Nicht umsonst hieß eines seiner erfolgreichsten Kabarettprogramm „Vom Stasi zum Aldi“. Er kann dir erzählen, wo Rudi Dutschke in Stuttgart wohnte und einkaufte, nicht lange, nachdem ihn Josef Bachmann in Berlin niedergeschossen hatte. Dutschke, schreibt Peter in seinem Buch, „hatte wieder sprechen lernen müssen, blieb unerkannt in Stuttgart, der Stadt der Auslandsdeutschen, unerkannt in der Mensa der Uni Hohenheim. Sein Sohn Che besuchte den Kinderladen am Neckartor.“ Ja, am Neckartor. Und Che hat damals überlebt.

Doch handelt Peters Biografie, die ich dringend empfehle – er hat versprochen, mich am Umsatz zu beteiligen, wenn ich sie erwähne –, nicht nur von der Vergangenheit. Er hat aus der Vergangenheit gelernt, ist schon deshalb unersetzlich in der Gegenwart und bereit für eine große Zukunft. In seinem Buch schreibt er: „Momentan plane ich meine Beerdigung. Langfristig, sehr langfristig. Es soll ein Fest werden. Ich hoffe, Sie sind dabei. Ich auch“ - sagt Peter Grohmann. Vielen Dank!







 





 

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