Bauers Depeschen


Dienstag, 26. September 2017, 1851. Depesche



JOE BAUERS FLANEURSALON live am Dienstag, 17. Oktober, im Club Four 42 in Untertürkheim. 20 Uhr. Mit Rolf Miller, Loisach Marci, Anja Binder. Letzte Reservierungen: EASY TICKET - ACHTUNG: Es gibt nicht mehr viele freie Plätze in Jürgen Heyls Industriekeller in der Augsburger Straße 442. Leichte Anfahrt mit S-Bahn, SSB (Linien 4 und 13), Busse - nur kurzer Fußweg vom Untertürkheimer Bahnhof. Auch Parkplätze vorhanden.



SCHWARZER DONNERSTAG: AM SAMSTAG DEMO

Am kommenden Samstag, 30. September, jährt sich zum siebten Mal der Schwarze Donnerstag, die brutale Polizeiattacke auf die Demonstranten gegen Stuttgart 21 im Schlossgarten. Große Demo am Samstag ab 14 Uhr vor dem Hauptbahnhof. Es sprechen u. a. der Schriftsteller Jürgen Lodemann und unsereins. Angelika Linckh moderiert. Musik machen die Ska-Band No Sport und die Sängerin Ella Estrella Tischa.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

STEUERBORD

In meinem westlichen Heimathafen riechen die Ausdünstungen des braunen Sumpfs nicht ganz so penetrant wie in anderen politischen Buchten der Stadt. Allerdings weiß ich nicht genau, ob ich tatsächlich in städtischer Umgebung lebe. „Provinz ist keine Landschaft, sondern ein Zustand“, hat Manfred Rommel einmal gesagt. Dieser Spruch läuft, als Warnung für Ankömmlinge, über einen Bildschirm des Manfred-Rommel-Flug­hafens. Diesen Airport wiederum finden Eingeweihte neben den Filderkrautfeldern von Leinfelden-Echterdingen im Kreis Esslingen.

Die Rechtsnationalen haben bei der Wahl in meinen westlichen Breitengraden gegenüber 2013 nur 1,5 Prozent zugelegt und 5,1 Prozent geholt. Das scheint fast noch erträglich, gemessen an Mühlhausen, wo dieselbe Partei auf 16 Prozent kam und damit elf Prozent mehr als beim letzten Mal einfuhr. Erstaunlich für einen Flecken, in dem Stuttgarts Hauptklärwerk eigentlich die Stadt vom Gröbsten säubern sollte.

Die Wahl ist vorbei, und viele fühlen sich jetzt wie nach dem Finale eines Turniers mit „Ergebnissport“ – um dieses dummdeutsche Wort aufzugreifen. Nach einem sportlichen Wettbewerb bist du dir im Klaren: Das Spiel ist aus – Mund abwischen, das Leben geht weiter. Nach dieser Wahl dagegen geht es erst richtig los. Fast eine Hundertschaft einer rechtsnationalen Partei mit Nazis in ihren Reihen wird im Bundestag sitzen, draußen unterstützt von durchtrainierten Korps und ideologisch aufgerüsteten Intellektuellen.

Es wäre ein großer Irrtum, zu denken, das Berliner Parlament sei weit weg von uns. Im Stuttgarter Landtag bringen die Rechtsnationalisten als drittstärkste Kraft hinter Grünen und CDU mit ihren menschenverachtenden Parolen andere Parlamentarier oft genug an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Weil sie auch im Gemeinderat mitmischen, kann dereinst niemand sagen, er habe nichts gewusst.

Am Samstag vor der Wahl demonstrierten mehr als 1500 Menschen in der Innenstadt gegen den Rechtsruck, darunter viele junge Leute. Aufgerufen hatte dazu das Stuttgarter Bündnis gegen Rechts, ein Forum unterschiedlicher Organisationen, beispielsweise Grüne Jugend, Antifaschistische Gruppen, Gewerkschaften, Arbeitskreis Asyl, Attac. Was mir auffiel: Rednerinnen und Redner wählten für ihre kurzen Beiträgen einen zurückgenommenen, einen bewusst bündnisfreundlichen Ton. Es ging ihnen, keine Frage, um Solidarität auf breiter Ebene. Ihre Sätze klangen kaum mal agitatorisch, eher pädagogisch, etwa als sie die geplanten Angriffe der AfD auf die Sozialleistungen und Arbeitsrechte der Republik durchleuchteten. In den Fernsehshows des Wahlkampfs hatte das übliche TV-Personal die Köpfe dieser Partei fast immer nur nach ihrer Flüchtlingspolitik gefragt, was der rechten Propaganda kräftig diente.

Eine Stadt hat viele Gesichter. Deshalb erzähle ich von dieser Demonstration gegen Rechts: bei schönstem Spätsommerwetter ein Bild der Hoffnung wie der Septemberweizen in der Provinz.

Am Wahltag selbst bin ich in dunkler Voraussicht aus der Umgebung meines Fernsehers in die Natur geflüchtet. Während der ersten Hochrechnungen spazierte ich in Cannstatt am Neckarufer entlang und schaute Polizisten zu, die sich vor ihren Kleinbussen in Kampfmonturen zwängten. Auf einer Neckarbrücke warnte ich ein junges Polizistenpärchen vor drohenden U-Boot-Angriffen mit Torpedos, und ich darf sagen: Wir haben gelacht.

Die AfD hatte sich in Cannstatt für ihre Wahlparty halbwegs diskret die Wilhelma gemietet. Nicht, wie man meinen könnte, den Zoo mit seinen Gehegen und Zwingern, sondern das gleichnamige Ausflugsschiff des Neckar-Käpt‘n. Oft bin ich auf diesem alten Kahn gefahren, erst neulich von ­Marbach nach Besigheim. Ein paar Mal hab ich ihn selbst gemietet, um ihn mit Musikanten zu bespielen und dem Publikum Geschichten vom Fluss zu erzählen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die MS Wilhelma eines Tages dermaßen extrem Kurs Steuerbord nehmen würde. Der Chef des Stuttgarter Neckar-Käpt‘n-Unternehmens ist Mitglied der CDU.

Dazu fällt mir eine Seemannsgeschichte vom Bodensee ein. Kurz vor der Wahl hatte die AfD für eine Veranstaltung mit ihrer Spitzenkandidatin Alice Weidel in Überlingen die MS Gunzo gemietet – allerdings anonym und unter Vortäuschung einer „privaten Brunchfahrt“. Als die Schiffsbesitzer, Susanne und Thomas Held, erfuhren, welche falsche Truppe ihr Boot geentert hatte, spendeten sie die Einnahmen der Gespensterfahrt der Überlinger Flüchtlingshilfe. Dafür ein kräftiges „Auf Matrosen, ohe!“

Fern der Neckar-Anlegestelle gegenüber der Wilhelma war es am Wahlabend so friedlich, dass ich auf keinen Fall nach Hause vor den Fernseher wollte. Die Aussicht, die Leichenfeier der sozialdemokratischen Totengräber oder Gaulands braunes Jagdgeschwadergewäsch mitzuerleben, trieb mich in die Einsamkeit. Schon die kurzen Nachrichten auf meinem Taschentelefon waren deprimierend genug, um die erholsame Wirkung meiner Schwitz- und Schwimmübungen vom Nachmittag im Cannstatter Mineralbad zu zerstören. Ich ging zur Mombachquelle, nicht weit vom Fluss in der Nähe der U-Bahnhaltestelle Mühlsteg. Das Gewässer ist Cannstatts einziger Quelltopf: Ohne Druck tritt das Wasser in großer Menge aus dem Boden aus. Ich zog mich zurück auf eine Bank am Tümpel in der Nähe des Mombach-Bads, der Übungsstätte des Schwimmvereins. Umringt von Bäumen, den herbstlichen Blick auf betörende Farbenspiele in Türkis und Grün, findest du am Mombach die schönste Ruheoase in turbulenten Zeiten.

Auf der anderen Straßenseite, vor dem Neckar, steht der Auquellbrunnen. Sein Wasser schmeckt außerordentlich gut, weshalb dieser Ort zu einem Treffpunkt von Menschen wurde, die nicht nur ihre Flaschen abfüllen, sondern auch Gedanken austauschen. Ich war noch nicht so weit, um mich zu ersäufen. Als es dunkel war, hab ich die Ärmel hochgekrempelt, in hohem Bogen in die Luft gespuckt und mir nach einem letzten Schluck aus dem Brunnen den Mund abgewischt: Jetzt geht es erst richtig los.



 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·