Bauers Depeschen


Samstag, 24. Juni 2017, 1807. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

hier ein paar Hinweise auf bevorstehende Aktionen und Veranstaltungen:



Montag, 3. Juli, Stuttgarter Marktplatz:

STOPPT DEN AUSVERKAUF DER STADT!

Für Menschen bauen – nicht für Profite!​

​Immer mehr Menschen in Stuttgart und Umgebung sind von Mietexplosion, Abrisswahn und Wohnungsnot betroffen. Am 3. und 4. Juli feiern Politiker und Größen der Bauwirtschaft ihren „10. Immobilien-Dialog Region Stuttgart“ im Rathaus. „Investoren sind in der Region Stuttgart willkommen, denn die Wachstumsperspektiven bleiben trotz knapper Flächen weiterhin gut“, verkündet die Agentur Heuer-Dialog als Veranstalter. Das AKTIONSBÜNDNIS RECHT AUF WOHNEN ruft auf zum Protest gegen diese Immobilien-Kungelei und die Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen aus unserer Stadt. „Für Menschen bauen – nicht für Profite!“ – unter diesem Motto treffen wir uns am Montag, 3. 7., zu einer Aktion auf dem Marktplatz. Beginn 19 Uhr. Bitte Trillerpfeifen u. ä. mitbringen. Die Aktion wird unterstützt von Ver.di und den Anstiftern.



DONNERSTAG, 20. JULI:

Ein Abend zu Ehren des Buchhändlers Wendelin Niedlich, der am 31. August seinen 90. Geburtstag feiert. Wortbeiträge und Musik, u. a. mit Wolfgang Dauner. Stadtbibliothek am Mailänder Platz, 19.30 Uhr.



MONTAG, 24. JULI:

Spezielle Montagsdemo der S-21-Gegner zusammen mit anderen politischen Initiativen: "Druck in den Kessel - Für ein anderes Stuttgart". Moderation Sidar Carman & Joe Bauer. Schlossplatz, 18 Uhr.



MITTWOCH, 26. Juli

Ein kleiner Erinnerungsabend zum 80. Todestag der Stuttgarter Kriegsfotografin Gerda Taro. Gerda-Taro-Platz, 18 Uhr. Es sprechen die Taro-Biografin Irme Schaber, der Historiker Michael Uhl und unsereins. Musik zum Thema macht STEFAN HISS.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:



REICHER MANN, ARMER MANN

Die Junihitze hat auch vor den letzten kühlenden Oasen der Stadt nicht haltgemacht und sogar die Friedhöfe erobert. Ich weiß schon, der Tod ist kein Sommerthema – und im öffentlichen Bewusstsein ohnehin höchst selten eines, dem man sich stellt. Der Tod ist ein verdrängter, anonymer Akt, sieht man ab von einem lärmenden, politisch und medial inszenierten Abschied wie im Fall des Ex-Kanzlers.

Ein Spaziergänger wie unsereins ist kein Saisonarbeiter, nicht abhängig vom Wetter, das zurzeit die Lust auf Surfmusik, Sandstrandsex und Prügelstrafen für die Klimaverbrecher steigert. Es war heiß und staubig im Kessel, als ich am selben Tag mit gleich zwei gesellschaftlichen Tabus konfrontiert wurde: Tod und Armut.

Es wäre falsch zu denken, die Begegnung mit diesen Phänomen sei so bedrückend gewesen, dass ich froh wäre, die Sache hinter mir zu haben. Im Gegenteil. Am frühen Abend ging ich mit dem Gefühl nach Hause, etwas besser gerüstet zu sein für das, was in jedem Fall kommen wird, und das, was nicht auszuschließen ist.

In der Unteren Feierhalle des Pragfriedhofs erwiesen am Donnerstag Angehörige und Freunde dem großen Stuttgarter Theodor Bergmann die letzte Ehre. Der Agrarwissenschaftler – jüdischer, atheistischer, kritischer Kommunist – ist vergangenen Montag im Alter von 101 Jahren gestorben. Viele Jahre hat er im Asemwald gewohnt. Die Trauerrede hielt der schwäbische Freidenker Heiner Jestrabek: ein mit Anekdoten gespickter, gelegentlich von herzhaftem Lachen begleiteter Vortrag über Theo oder Ted, wie er genannte wurde, dieser unbeugsame Weltreisende mit seinen liebenswerten, nicht immer einfachen Eigenheiten.

Der ehemalige Widerstandskämpfer, spätere Professor in Hohenheim und unermüdliche Buchautor war Freidenker – und ein Liebhaber der Musik, der Literatur und der bildenden Kunst. Und er war Epikureer, Anhänger der Lehre des griechischen Philosophen Epikur, dessen berühmteste Sätze von der Furcht vom Tod handeln: „Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. (. . .) Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“

Bei der Feier konnten die Anwesenden nach jüdischem Brauch ihre letzten Worte am Sarg des Verstorbenen vortragen – ein Ritual mit Tränen der Rührung und spürbarem befreiendem Humor. Ein würdiger Abschied, lebendig, leicht und menschlich. Am Nachmittag desselben Tages sprach der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge im Rathaus über das, so sagte er, zweite große Tabuthema neben dem Tod: die Armut.

Butterwegge, achtzehn Jahre Professor an der Kölner Universität und seit Oktober 2016 im sogenannten Ruhestand, ist Deutschlands bekanntester Armutsforscher. Viel gefragter Autor, Interviewpartner und Gast in Talkshows. Das Thema Armut, sagte er nicht ohne selbstironischen Blick auf seine Popularität, sei nicht geeignet, wissenschaftliche Karriere zu fördern. Armut werde bei uns hartnäckig verdrängt, verschwiegen, vertuscht.

Das Thema beim Sommerempfang der Fraktion der SÖS/Linke-plus lautete „Armut in einem reichen Land“ und handelte auch von der Armut in einer reichen Stadt namens Stuttgart. Immer mehr Einwohner gelten als arm, 20, 4 Prozent als armuts­gefährdet. 60 000 Haushalte sind überschuldet. 100 000 ­Mieter hätten Anspruch auf Sozialwohnungen – wenn es welche gäbe. 300 Kinder leben in Notunterkünften.

Am wichtigsten in der Auseinandersetzung mit der herrschenden Not sind für mich Butterwegges Sätze über die sogenannte relative Armut: Was oft mit der Phrase „Jammern auf hohem Niveau“ abgetan werde, sei in Wahrheit neben der materiellen Entbehrung eine psychische Belastung, die in einem reichen Land deprimierender und verletzender sein könne als Armut in einem armen Land. Die gesellschaftliche Ausgrenzung und Erniedrigung der Verlierer würden nicht beachtet. Armut in Köln sei völlig anders zu bewerten als Armut in Kalkutta – und Armut in München anders als in Marburg. In einem reichen Land wie Deutschland, wo Hyperreiche im Jahr Milliarden allein an Dividenden verdienen, würden die Armen grundsätzlich für ihre Situation selbst verantwortlich gemacht, nach dem Motto: Wer Arbeit sucht, findet auch welche. Ohne Berücksichtigung von Leiharbeit, Abbau von Sozialleistungen, Rentendesaster.

Selbstverständlich fordert der Armutsforscher eine neue, eine gerechtere Steuerpolitik, die Umverteilung der Vermögen, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinandergeht. Beindruckend für mein Verständnis der Problematik sind seine Hinweise auf individuelle Schicksale, etwa das Elend in der Nachbarschaft. Es sind die bürokratischen Verallgemeinerungen und die Denkfaulheit, die die Wahrnehmung des Leidens in Not geratener Menschen blockieren und ausblenden – egal ob es um Arbeitslose, Wohnungslose oder Geflüchtete geht.

Eingebettet wurde die Armutsproblematik an diesem Nachmittag mit den Songs des afrikanischen, in Stuttgart lebenden Duos Thabilé (Gesang) und Steve Bimamisa (Gitarre). Und so habe ich an zwei Orten an einem Tag wieder mal die Erfahrung gemacht: Die unverkrampfte Form beim Umgang mit schwierigen Inhalten bricht das Tabu.

Denke, das war heute schwere Sommerkost: Tod und Armut. Gehört nun mal zum Leben. Ich schließe mit Brechts berühmtem Vierzeiler; zu lesen ist er übrigens an der Mauer unterhalb der Staatsgalerie an der Stadtautobahn – und für den Wissenschaftler Butterwegge hochaktuell: „Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“



 

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