Bauers Depeschen


Donnerstag, 18. Mai 2017, 1793. Depesche

 

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Die aktuelle StN-Kolumne:



NEUES VON ZWETSCHGE

Der Sommer hat überfallartig die Stadt erobert und wird empfangen, als sei er der erste Sommer seit Menschengedenken. Der Kessel kocht. Das grelle Licht des ersten warmen Maitags leuchtet die nackten Männeroberkörper im Schlossgarten aus. Ins Auge stechen weniger schwitzende Bierbäuche als vielmehr entblößte Hautflächen ohne Tattoo. Die gibt es nur noch selten. Ein Kameramann kauert am Boden, um Blumen abzulichten, eine TV-Reporterin hält Passanten ihr Mikro vor die Nase, um die demokratische Meinungsvielfalt zum Thema Sommer zu dokumentieren.

Da wir beim Dokumentieren sind: „Die Anstalt“ des ZDF ist vergangenen Dienstag dem Thema „Arbeit“ auf den Grund gegangen. Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr spielte in dieser Kabarettshow ein Herr namens Zwetschge eine tragende Rolle – im vergangenen März noch als Chef eines Autohauses, diesmal als Boss des Weltunternehmens Däumler (diesen Typen mit Seehundschnauzer verkörpert der Kabarettist Max Uthoff mit öliger Väterlichkeit). Bei eventuellen Ähnlichkeiten mit realen Stuttgarter Figuren und Namen handelt es sich selbstverständlich um reinen Zufall, schon deshalb, weil auch der Autor der Sendung, Dietrich Krauß, rein zufällig in eben diesem Stuttgart wohnt.

Damit zurück zur Realität: Weder Zetsche noch sonst jemand von Daimler waren in den vergangenen Monaten bereit, für die SWR-Dokumentation „Harte Arbeit – schlechte Löhne. Wie Menschen abgehängt werden“ ein Interview zu geben. In Hermann Abmayrs Reportage über die Ungerechtigkeiten der Leiharbeit, gesendet am 12. April, spielt Humor keine Rolle: Der Zuschauer wird mit bitteren Fakten über Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und einer Arbeitspolitik konfrontiert, die man weiß Gott nicht als schlechten Witz abhaken kann.

Gleich nach der Ausstrahlung erhielt der für die Doku befragte Daimler-Leiharbeiter Martin M. von seiner Verleihfirma die Mitteilung, er brauche nicht mehr zur nächsten Schicht zu kommen. Erst zwei Wochen später wurde der Stuttgarter Facharbeiter wieder eingestellt. Womöglich hat Zwetschges Firma Däumler interveniert.

Erzählen muss ich die ganze Sache, weil zwischen „Arbeit“ in der „Anstalt“ und „Harte Arbeit – schlechter Lohn“ in der SWR-Reihe „betrifft“ ein unmittelbarer Stuttgarter Zusammenhang besteht: Es war auch die Doku, die den ZDF-Autoren/Kabarettisten die Ideen für ihre Show lieferte. Und wieder mal haben sie präzise und mit erstklassiger Komik ein Glanzstück satirischer Aufklärung abgeliefert (sowohl die ZDF-Show als auch die SWR-Doku können noch in der Mediathek im Internet abgerufen werden).

Dieses Kapitel über arbeitende Menschen mit berechtigten Existenzängsten hat meine sommerträumeischen Abschweifungen gestoppt. Zuvor hatte ich an diesem heißen Maitag mehrfach den Schlossgarten vor dem Neuen Schloss umrundet, ehe ich den Wilhelmsplatz besuchte. An diesem Ort steht bekanntlich die Landesgeschäftsstelle der SPD. Vor der Tür der Sozen sah es nicht gut aus: Ein Bagger hatte den Platz aufgerissen, Wasser strömte aus einem Schlauch über den Asphalt. Die unterirdischen Rohre seien kaputt, sagte mir ein Arbeiter. Geplatzt vor Wut nach den jüngsten Wahlergebnissen, vermute ich.

Als eine der großen, moralischen Offensiven der Stuttgarter SPD galt zuletzt die Kritik am grünen Insektenschützer Kretschmann, der 70 Adlige standesgemäß ins Neue Schloss zum Spargelessen eingeladen hatte. Für „unser Land“, maulte der SPD-Landesfraktionschef Stoch, wäre es „ein echter Fortschritt, wenn Kretschmann sich mit demselben Herzblut um die Belange und Interessen der hart arbeitenden Beschäftigten kümmern würde.“ Am besten wohl im Sinne der SPD-Arbeitsministerin Nahles: Ihre jüngsten Großtaten zum Wohl der arbeitenden Menschen wurden von den „Anstalt“-Komikern als glatter Betrug entlarvt. Ohnehin gelten die Sozen ja spätestens seit ihrer Agenda 2010 als Helden der Arbeiterklasse.

Ich hatte schon gehofft, die Aufregung über die herrschaftliche Audienz bei unserer grünen Durchlaucht habe ein Blick aus dem SPD-Haus ausgelöst: Auf dem Wilhelmsplatz ließ der Adel im Bauernkrieg vor 500 Jahren aufständischen Männern des Bündnisses Armer Konrad den Kopf abhacken. Sie waren drauf und dran gewesen, Stuttgart zu erobern, wurden aber belauscht und verraten. Der als verschwenderisch verrufene Herzog Ulrich von Württemberg hatte Bauern und Bürger gegen sich aufgebracht, weil er maßlos Steuern eintreiben ließ, um seinen bankrotten Haushalt zu sanieren und Krieg zu führen. Für die Hinrichtungen der Männer veranstaltete er ein öffentliches Spektakel: Die blutigen Köpfe von zwei Opfern ließ er zur Abschreckung auf Stangen stecken. Erst 1811, als der Adel noch immer die einfachen Menschen ausplünderte und massakrierte, wurde die Hinrichtungsstätte auf dem Stuttgarter Henkersplatz abgerissen und in die Feuerbacher Heide verlegt.

Die Blaublütler herrschten bei uns bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Entmachtet wurden sie erst 30 Jahre, bevor Kretschmann geboren wurde – weshalb er sich später für eine Weile aufständischen Kommunisten anschloss. Bis heute besitzt der Adel Schlösser, Wälder und Güter und gilt der Politik als Krösus im Tourismusgewerbe.

Da der aktuelle Adel inzwischen abgereist und der Rohrbruch vor der SPD-Zentrale vielleicht bald bereinigt ist, könnten die Sozen endlich mal was Vernünftiges anleiern: Auf den Wilhelmsplatz gehört schon lange ein Zeichen des Respekts zur Erinnerung an die geköpften Aufständischen. Kein SPDler würde mit dieser Forderung je Gefahr laufen, als Sympathisant einer Revolte an den Pranger gestellt werden. Über die wahre rebellische Energie der SPD reden wir dann 2018, zum 100. Jahrestag der deutschen Revolution.

Nicht bestätigt wurde mein Verdacht, die Gestrigen und Monarchisten im Landtag hätten sich rechtzeitig zum Empfang des Adels im Neuen Schloss ihre Kronen vom Zahnarzt aufpolieren lassen.



 

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