Bauers Depeschen


Donnerstag, 15. Dezember 2016, 1714. Depesche



NÄCHTSTE STN-KOLUMNE am Montag.



CHRISTINE PRAYON IM THEATERHAUS

Am vergangenen Sonntag hat sie unseren Flaneursalon in der Rosenau moderiert - an diesem Samstag gastiert sie im Theaterhaus: Die Kabarettistin Christine Prayon, dem Fernsehpublikum auch als Birte Schneider aus der ZDF-"Heute Show" bekannt, präsentiert ihre Soloshow "Die Diplom-Animatöse". 20.15 Uhr. Es gibt noch Karten: Tel: 0711/4020 720.

 

EIN ROADTRIP ALS ROMAN -

MIT KLAUS BITTERMANN, VINCENT KLINK & JOE BAUER

Nachricht aus Berlin: An diesem Sonntag, 18. Dezember, ist die Inzucht im Stuttgarter Merlin: Der Verleger und Autor Klaus Bittermann (Edition Tiamat, Berlin) liest, Stefan Hiss singt, Joe Bauer moderiert und liest und Vincent Klink hört zu:

„Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie“ heißt der neue Roman von Klaus Bittermann, ein Roadtrip mit zwei durchgebrannten Teenies, die in noblen Hotels die Zeche prellen, Gäste beklauen und durch die Gegend irren. Zur Verstärkung hat Bittermann Joe Bauer für die Moderation engagiert, Stefan Hiss für Songs und Vincent Klink, der alledem aufmerksam beiwohnt, bevor er selbst aus seinem Banditenleben erzählt. 19 Uhr.



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



UNTER GÄNSEN

Einige Tage war ich weg von der Straße und habe mich in eher geschlossenen Räumen herumgetrieben. Jetzt bin ich zurück in unserem Feinstaubmief und wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll, wäre ich nicht schnurstracks bis ans Ende der Welt gefahren. Manchmal landest du sehr schnell am Abgrund, wie uns Heinz Erhardts großes Reisepoem lehrt: „Die Gans erwacht im grauen Forst / Erstaunt in einem Adlerhorst / Sie blickt sich um und denkt betroffen / Mein lieber Schwan, war ich besoffen.“

Unsereins flog stocknüchtern nach Hedelfingen, wo ich wieder mal erfahren habe, warum dieser Stadtbezirk ein erbauliches Pflaster ist. Das hat auch mit Gänsen zu tun, aber davon später.

Die Straßenbahn der Linie 9 braucht vom Hauptbahnhof kaum mehr als zwanzig Minuten bis ans Ende unserer kleinen Stuttgart-Welt. Eine kurzweilige Fahrt durch den Osten. Auf der Strecke geschichtsträchtige Orte wie Ostheim und Raitelsberg, dann die Hallen der internationalen Wangener Großmärkte, zuvor schon der Blick auf das Gaisburger Schweinemuseum, damit man nicht vergisst, was Provinz bedeutet.

Beim Ausstieg aus der Linie 9 ist alles echt Hedelfingen: Ein intakter Zeitungs- und Zigarettenkiosk am Bahnsteig, linker Hand das alte Backstein-Schulhaus, auf der anderen Straßenseite eine nur leicht verwitterte Tankstelle namens Endstation mit guten Thekenplätzen und runden Tischen mit Decken, falls jemand Lust hat auf eine Runde „Schwarzer Peter“. Freundliche Menschen in der Kneipe, wir schauen uns kurz um – und in diesem Fall spreche ich von „wir“, weil an diesem Tag mein vierköpfiger Männerverein wieder pflichtgemäß auf Gasthaus-Erkundungstour ist. Irgendwer muss diese Arbeit ja erledigen.

Unser Ziel ist nicht die Endstation, sondern – nach dem Überqueren der grausig lärmenden Hauptstraße – das Knausbira-Stüble im Ortskern mit den Fachwerkhäusern. Etliche Jahre hatte ich dieses weithin berühmte Gasthaus nicht mehr besucht, jedenfalls nicht in der Saison der toten Gänse. Das Weindorf Hedelfingen, Anfang des 13. Jahrhundert erstmals erwähnt, liegt in Stuttgarts südöstlichem Grenzbereich, links vom Neckar, kurz vor Esslinger Hoheitsgebiet. 1922 wurde es eingemeindet. In Wahrheit ist Hedelfingen eine Hafenstadt: 70 Prozent des Stuttgarter Hafens liegen auf der Gemarkung dieses Stadtteils. Auch der Hafen selbst ist übrigens ein offizieller Stadtteil; mehr als hundert Einwohner sind in diesem Revier registriert. Aber wer interessiert sich in dieser Stadt schon für das Leben am Fluss, den kaum noch einer kennt, seit das Neckar­stadion Mercedes-Benz-Dings heißt.

In Hedelfingen leben, zählt man die Ortsteile Rohracker (etwa 5500 Einwohner) und Lederberg hinzu, fast 10 000 Menschen, viele von ihnen sind vergleichsweise alt. Das Restaurant Knausbira-Stüble hat seinen Namen bei der Symbolfrucht des Orts entlehnt: Die Knausbira, in einschlägigen Betrachtungen auch „Knausbiira“ (mit zwei i) geschrieben, ist eine Birnensorte. Man konnte dieses Zeugs früher nicht essen, aber einwandfreien Most daraus machen und sich damit vom „Äppelwoi“ unterscheiden. An der Fassade des Hedelfinger Rathauses aus dem Jahr 1910 hängt freischwebend eine eiserne Knausbira. Dieses Kunsthandwerk erinnert mich an einen Punchingball und einen Galgen, und diese Sicht der Dinge macht Hedelfingen ja nur noch interessanter.

Das Knausbira-Stüble bietet das ganze Jahr über schwäbische Kost vom Feinsten. Die Spezialität des Hauses allerdings sind Gänse: Brust oder Keule, die alte Streitfrage, ich bin da offen. Die Federviehsaison dauert vom 24. Oktober bis zum 23. Dezember, und wer abends einen Platz haben will, sollte sich mindestens ein Jahr vorher anmelden. Mittags ist der Andrang zwar nicht ganz so stürmisch – dennoch ist es ratsam, sich schon jetzt einen Stuhl für 2017 zu sichern. In den acht Wochen vor Weihnachten werden in dem Restaurant mehr als 800 Gänse aus dem Hohenlohischen verspeist. Wirtin Susanne Schallmeir serviert unaufgeregt und nach Bedarf vom Tablett auf den Teller. In der fast offenen Küche arbeitet ihr Mann Hendrik, als hätte er nicht den geringsten Stress. Keine Ahnung, wie das alles funktioniert – bei relativ gedämpftem Geschnatter. Als Spaziergänserich kann ich nur sagen: Es schmeckt verdammt gut. Als Zutaten gibt es Knödel, Blaukraut und Rosenkohl.

Hedelfingen ist also eine Hochburg des Gänsebratens, wobei ich bitte, mich in meiner Dekadenz nicht nach moralischen Bedenken zu fragen: Ich selbst habe nie ein intimes Verhältnis zu Gänsen mit Namen Ramona, Elvira oder Veronika Ferres aufgebaut, so dass ich über Leben und Sterben der Wasservögel nichts sagen kann. Jedenfalls sind diese anständig aufgezogenen Tiere tot, bevor sie gerupft werden – was mir beim Blick auf den Umgang von ­Menschen mit Menschen vergleichsweise human erscheint.

Tradition und Mythos der freilaufenden und gebratenen Gans samt ihres Oberhirten Sankt Martin können an dieser Stelle nicht ausreichend gewürdigt werden. Früher, habe ich gelesen, waren Gänse auch erstklassige „Wachhunde“. Vermutlich aber würde der Mensch, sofern nicht Vegetarier oder Veganer, heute auch wesentlich mehr Wachhunde verschlingen, wären sie so schmackhaft wie Gänse.

Hedelfingens Gänse-Kultur ist schon deshalb empfehlenswert, weil der Ort nach getaner Arbeit das Gewissen entlastende Verdauungsspaziergänge bietet: in der Tiefe des Neckartals wie auf den malerischen Hügeln mit dem historischen Terrassenweinbau und seinen Trockenmauern. Auch im Ort selbst gibt es einiges zu sehen: etwa das Alte Haus aus dem 16. Jahrhundert, die Kelter oder einen selten gut bestückten Shisha-Laden.

Auf keinen Fall vergessen darf ich die evangelische Kreuzkirche mit ihren Bauhaus-Anleihen. Ein Wunder, dass dieses kubische Gebäude mit seinem rötlichen Putz die Nazi-Diktatur überlebt hat und bis heute fast vollständig erhalten ist. 1930 haben es Paul Trüdinger und Hans Volkart aus Geldnot im schlichten Industriestil entworfen.

Und dann gut gestopft und ganz entspannt zurück ins zerfledderte Zentrum, nur zwanzig Minuten entfernt vom Ende unserer kleinen Stadt.



 

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