Bauers Depeschen


Donnerstag, 01. September 2016, 1671. Depesche

NÄCHSTE KOLUMNE "Joe Bauer in der Stadt" ausnahmsweise am Montag.



Der Klick zum

LIED DES TAGES



HEUTE ANTIKRIEGSTAG

In der Nacht zum 1. September 1939 überfiel Nazi-Deutschland Polen. Der Zweite Weltkrieg begann. Traditionell veranstalten der DGB und die VVN am 1. September den Antikriegstag - heute, Donnerstag, auf dem Stuttgarter Stauffenbergplatz, am Alten Schloss. Beginn 17 Uhr.

 

Die aktuelle StN-Kolumne:



STADTTEIL RATHAUS

Von seniler Bettflucht spricht man, wenn alte Säcke wie ich so alt geworden sind, dass sie morgens viel zu früh in der Angst aufstehen, bald schon könnte alles vorbei sein. Diese Sicht der Dinge ist allerdings etwas simpel. Schon früh haben alte Säcke von noch älteren gelernt, warum es generell wenig Grund zum Schlafen gibt: Ausgiebig schnarchen sollten wir erst nach dem Tod. Dann haben wir Zeit dazu.

Nicht umsonst hat der große Schriftsteller Raymond Chandler den Tod „Big Sleep“ genannt – „Der große Schlaf“. Vor ziemlich genau 70 Jahren, im August 1946, hatte die erste Verfilmung dieses Romans („Tote schlafen länger“) mit Humphrey Bogart als Philip Marlowe Premiere. 1978 spielte Robert Mitchum in „Tote schlafen besser“ Chandlers legendären Detektiv. Und bevor heute jemand die Wörter ­„genial“ und „cool“ in den Mund zu nehmen wagt, sollte er sich gute Filme mit Robert Mitchum anschauen.

Hollywoods großer, schweigsamer Rebell hat mal gesagt: „Ich jogge nicht, schwimme nicht, fahre nicht Rad. Meine einzige Ertüchtigung: Ich huste viel.“ Mit dieser Sportart wurde er 80 Jahre alt; seinen großen Schlaf trat er im Juli 1997 an, weshalb wir im Sommer 17 wort- und regungslos seinen 20. Todestag feiern sollten.

Gestern wachte ich sehr früh auf und beschloss, meinen Tagesplan zu ändern. Pläne taugen eh nichts. Tags zuvor hatte ich recht lange ohne Navigator eine sehr kleine Staffel mit dem Namen eines großen Schauspielkünstlers gesucht – und wundersamerweise sogar gefunden. Darüber werde ich ein andermal berichten. Gestern fiel ich, wie gesagt, zu früh aus dem Bett und ging deshalb hinaus in die vergiftete Luft der verschlafenen Stadt. Bis ich Smartphone und Laptop aus meinem Rucksack holte und im Café Nast im Bohnenviertel diese Zeilen tippte. Frühstück an der Autobahn.

Keiner soll glauben, als Spaziergänger bräuchte man nur durch die Straßen zu gehen, um sein Notizbuch mit bemerkenswerten Beobachtungen zu füllen. Morgens vor sieben siehst du Turnhosen, Rucksäcke und die letzten Handwerker durch die dreckigen Straßen traben, während in der Straßenbahn ein paar Smartphones wie Marionetten in der Luft zu hängen scheinen. Die Marionettenspieler selbst haben tote Augen und sind nicht präsent.

Vom Hölderlinplatz der Katzensprung zur Haltestelle Rathaus. Beim kurdischen Kioskmann Idris, dem freundlichen Portier am Eingang zur Unterführung zwischen Schwabenzentrum und Leonhardsplatz, hole ich mir Zeitschriften, weil ein neuer Monat beginnt. In einem der Heftchen lese ich, vor 40 Jahren sei „Punk explodiert“. Das war in London; zuvor hatte diese Geschichte in New York rumort.

Wann und wie der Punk nach Stuttgart kam, hat mich nie interessiert. Lustig und immer wieder erwähnenswert jedoch die Anekdote über den ersten Stuttgarter Auftritt einer Kapelle namens AC/DC 1977 im Gustav-Siegle-Haus. Weil man nicht so genau wusste, wie man die Musik dieser etwas stringenten Hardrock-Band nennen sollte, klebte man auf die Plakate das ­sensationelle Versprechen: „Punkrock aus Australien“. Genauso treffend hätte man die Sache auch „Känguru-Boxen“ nennen können.

Längst ist das Sieglehaus Heimat der nicht ganz so explosiven Stuttgarter Philharmoniker, auch wenn an ihrem ­Domizil gegenüber der Leonhardskirche zurzeit der Punk abgeht: Das Gebäude, oft leider eine geschlossene Anstalt, hat reichlich Metall im Gesicht; es ist ein­gerüstet. Auf der anderen Straßenseite, neben dem hässlichen Züblin-Parkhaus, leuchtet in der Laterne des steinernen Nachtwächters auf dem gleichnamigen Brunnen das ewige Licht ins Dunkel der Stadt.

Ein Teil dieser Altstadtgegend, Leonhardsviertel genannt, gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Kann passieren in einer kleinen Gemeinde, wo Provinzler angesichts eines Zwergenquartiers mit ein paar hundert Einwohnern von „Klein St. Pauli“ reden. St. Pauli beherbergt 28 000 Menschen, eine Menge Schiffe und einen Fußballclub, der in derselben Liga spielt wie Stuttgarts berühmtester Verein für Bewegungsspiele.

Die Problempiste unseres Rotlichtviertels ist nicht mehr als 140 Spaziergängerschritte lang und etwa so breit wie ein Saunahandtuch. Auf dieser, von einigen Bordellen, Animierbars und auch sittsamen Lokalen gesäumten Piste treiben sich in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag internationale Grüppchen hormon- und alkoholgesteuerter Großmäuler herum. Junge Wegelagerer, Anmacher und Hauswandpisser. Fachleute diagnostizieren bei ­diesem Typus das derzeit weit verbreitete Krankheitsbild „toxische Maskulinität“.

Es wäre nur eine Frage des guten Willens, die kleine Leonhardstraße mithilfe der Stadt und der Polizei zu beruhigen. Mit seinen zynischen Sprüchen über das Schattendasein des Viertels aber wirkt der – jedenfalls von Amts wegen – züchtige CDU-Ordnungsbürgermeister eher so, als gefiele ihm, wenn möglichst viele Ahnungslose die temporär konfliktreiche Kurzstrecke der Altstadt für einen unüberschaubaren Sumpf halten. Für ein Getto. So schürt man nebenbei die übliche Hetze.

Bürger und Stadtplaner arbeiten zurzeit an Plänen, das Bohnenviertel und das Leonhardsviertel – die oft miteinander verwechselt werden – wieder unter der historischen Bezeichnung „Leonhardsvorstadt“ zu vereinen. Und dies nicht nur namentlich. Beide Quartiere liegen übrigens offiziell im Stadtteil Rathaus. Die Herrschaften in ­dessen Hauptquartier sollten mal vor der eigenen Haustür kehren, bevor sie sich ­weiterhin dem großen Schlaf hingeben und die Stadtplanung wie gewohnt ihren ­Investoren überlassen. Andernfalls sollte man ihnen, cool wie Mitchum, was husten.



Und hier die MÖglichkeit, mich in die Pfanne zu hauen:

BEITRÄGE schreiben im LESERSALON

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·