Bauers Depeschen


Montag, 07. Dezember 2015, 1563. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

an diesem Dienstag und Mittwoch geht im Theaterhaus "Die Nacht der Lieder" über die Bühne, die von mir organisierte Benefiz-Show zu Gunsten der Aktion Weihnachten der StN. Die beiden Abende sind ausverkauft. Beginn 19.30 Uhr. Gleichzeitig beginnt der VORVERKAUF für die beiden Shows am 7./8. Dezember 2016. Vielleicht ist eine Eintrittskarte ein kleines Weihnachtsgeschenk für die Zukunft ...

Die Besetzung 2016:

Deutsch-Arabischer HiwarChor mit Hajnal & Freunden (ein Ereignis), Anna Speidel (Popsongs), Özcan Cosar (Comedy), Diversité (World Music), Angelika Strub (Violine), Loisach Marci (Alphorn- und Elektro-Virtuose), Trio Blastonal (Jazz der anderen Art), Fuenf (a cappella), Gauthier Dance und The Big Night Showband. Durch den Abend führt Eric Gauthier.



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LIED DES TAGES



REDE zur 300. Montagsdemo gegen Stuttgart 21:



Guten Abend, hochverehrte Protest-Gesellschaft von Stuttgart,

heute ist der 7. Dezember, der Weihnachtsmann hängt noch in einer verspäteten Eisenbahn oder Stadtbahn fest, und wir hier vor dem Hauptbahnhof mit seinen zerhackten Engelsflügeln haben schon wieder einen Feiertag: Die Demo Nummer 300. – Das muss man sich mal vorstellen: Bin überzeugt, dass heute Abend Menschen hier sind, die keine einzige Montagsdemo verpasst haben. Das bedeutet: Diese Leute haben zusammengerechnet bald ein ganzes Jahr lang jeden Abend demonstriert.

Damit sind wir bei den Gewohnheiten. Unsereins hat ja erst neulich hier eine Rede gehalten: am 30. September, als sich der Schwarze Donnerstag zum fünften Mal jährte. Sie erinnern sich an den Aufmarsch der Chaoten in Uniform auf Befehl gewaltbereiter Regierungs-Extremisten. Ja, und kurz zuvor hatte ich ebenfalls eine historische S-21-Zahl in einer Jubelrede verarbeitet – nämlich den 250. Bürgerbrief aus dem Hause der Anstifter. Sie kennen diese Blätter, die Montag für Montag verteilt werden – berühmt und berüchtigt als Grohmanns gelbe Gefahr. Zyniker sagen beim Anblick dieser Papierberge im Din-A-5-Format, die Stuttgarter Revolte habe sich verzettelt. Das aber kann man so nicht sagen: Die gelben Kassiber nützen bis heute der politischen Aufklärung und unserer guten Laune, auch wenn deshalb hie und da ein kleiner Weihnachtsbaum fürs Papier dran glauben musste.

Insgesamt allerdings, liebe Freundinnen und Freunde, bekomme ich mit Blick auf unsere Demo-Jubiläen gelegentlich leichte Kopfschmerzen: Man muss ja befürchten, demnächst hier zu stehen und mit anzusehen, wie unser Alterspräsident Peter Grohmann an langjährige Vereinsmitglieder im Kampf gegen Stuttgart 21 Goldene Ehrennadeln mit Lorbeerkränzen verteilt – nachdem er uns zuvor noch eine schöne Geldspende abgenommen hat. Ich denke, wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir kein Traditionsverein werden – uns zu sehr selbst feiern und dadurch die Gegenwart aus dem Auge verlieren wie der VfB.

Also, meine Damen und Herren: Die 300 ist eine stolze Zahl, aber auch bloß eine Ziffer – denn jeder einzelne Montagabend, und nicht nur der, muss unsere Sinne schärfen für das Hier und Jetzt. Für die verantwortungslose und rücksichtslose Verschwendung von Ressourcen zur Zerstörung dieser Stadt ohne den geringsten Respekt vor den Menschen, die nach uns kommen. –

Meine erste Rede gegen S 21 habe ich 2010 gehalten. Da hieß der große Bau gegenüber vom Bahnhof noch offiziell Hindenburg-Bau, wohl als Hommage an die politische Vorbereitung von Hitlers Nazi-Diktatur.

Inzwischen ist der Bahnhof eine Ruine und das ehrenwerte Haus dort namenlos. 2010, ich hab nachgeschaut, hat die große Politik unter der Führerschaft einer Machtbacke aus Mühlacker namens Mappus noch ihr sogenanntes Kommunikationsloch beklagt. Zu Deutsch: Die Propaganda, sprich die Lügen der herrschenden Politiker funktionierten nicht, weil immer mehr tapfere Bürgerinnen und Bürger den Betrug durchschauten und sich zum Protest gegen das Größenwahnprojekt S 21 auf den Straßen und Plätzen der Stadt versammelten.

Wenn ich mich heute an die Tage des demokratischen Aufbruchs im Kampf gegen das machtpolitische Prinzip Stuttgart 21 erinnere, habe ich wesentlich mehr Demo-Leute vor Augen als heute. Es waren unzählige, sie säumten die Hügel und Weinberge, sie schwammen im Neckar. Das kann aber auch daran liegen, dass ich aus Altersgründen damals noch wesentlich besser gesehen habe als heute.

Als heutiger Jubiläumsredner der 300. Folge unserer Live-Serie zur Aufdeckung reichlich krimineller Energie in Stadt, Land und Bund möchte ich vor allem an eine Tugend erinnern, die mir hier zu kurz kommt: Wir dürfen den Humor nicht verlieren und nicht die Lust auf widerständlerische Politik. Humor ist ja nicht dazu da, die Menschen mit billigen Heiterkeits-Nummern vom Alltag abzulenken. Die Rhetorik der Faschingsbütt überlassen wir den Turnhallen-Schreiern der etablierten Parteien. Humor ist ein wirkungsvolles Mittel, die absurden Machenschaften der herrschenden Politik zu entlarven. Humor gibt uns die Kraft, niemals den Spaß an unserer der Sache zu verlieren – und niemals den Mut und die Freude am Leben und am Kampf um die vom Profitdenken bedrohte Lebensqualität unserer Stadt.

Lasst die anderen ruhig auf ihre Weise lachen, die Ignoranten und Arroganten mit ihren lausigen Proler-Witzen. Lasst sie grinsen, wenn sie mit schmutzigen Fingern auf uns zeigen, weil wir nicht wie sie bereit sind, alles hinzunehmen und mit Blick aufs Geld jede Schweinerei abzunicken.

Die Montagsdemo ist nach wie ein Forum für alle, die sich nicht damit zufrieden geben, alle paar Jahre auf einem Zettel irgendeine der Parteien anzukreuzen, die vorgeben, das kleinere Übel zu sein. Diese Montagsdemo ist ein wichtiger Ort der außerparlamentarischen Opposition von Stuttgart.

Und Humor, meine Damen und Herren, ist nicht nur dazu da, das Komische zu entdecken, wenn die Kretschmanns, Wolfs oder Schmids mithilfe ihrer Berater und Trainer den großen Diktator oder den Landesgroßvater geben wollen. Humor ist ja immer auch Selbstironie.

Das bedeutet: Wir, die wir uns auf der Straße versammeln, um das große und das kleine Übel zu entlarven und dagegen zu protestieren, sollten uns von Zeit zu Zeit auch mal selbst in Frage stellen. Wir müssen fragen, ob wir uns nicht etwas zu oft mit Protest-Routine begnügen, uns zu kritiklos den Demo-Ritualen hingeben – anstatt uns öfter mal in den eigenen Hintern zu treten und über neue Formen des Protests nachzudenken.

Liebe Freunde, auf dem Handzettel zur heutigen Demo werden unsere Themen „Demokratie“ und „Stadtentwicklung“ angesprochen. Wenn wir nur kurz über diese Begriffe nachdenken, sind wir schon mitten drin in der großen Politik: Es gab und gibt in dieser Stadt keine demokratische Stadtentwicklung. Sonst hätte man nicht mit übelsten Methoden Stuttgart 21 durchgeprügelt. Ein schlimmes Beispiel für die Missachtung des demokratischen Zusammenlebens ist exakt unsere Stadtentwicklung – nämlich die Wohnungspolitik. Die amtierende Landesregierung hat es zugelassen, dass mit Steuergeld gebaute 20 000 ehemalige Sozialwohnungen von der finanzschwachen Landesbank an ein privates Immobilienunternehmen verhökert wurden. Und die Spekulanten-Firma hat die meisten dieser – von den nicht vermögenden Menschen dringend benötigten Wohnungen – noch einmal mit dreistelligem Millionengewinn an die nächste Heuschrecke verscherbelt.

Wenn wir solche Machenschaften betrachten, ist es schon eine Art von Verbohrtheit, wenn einige Stuttgart-21-Gegner fordern, man solle sich bei unseren Demos doch auf den Bahnhof und die Verkehrsprobleme beschränken. Die Immobilienpolitik in dieser Stadt hat eine Menge mit den Boden- und Spekulationsgeschäften des Milliardenprojekts Stuttgart 21 zu tun. Die Immobilienpolitik in Stadt und Land spricht Bände: etwa der Rückzug aus dem Sozialwohnungsbau – und die zynische Forderung des Sozialdemokraten Schmid, man müsse den Wohnungsmarkt den Investoren, also der sogenannten Immobilienwirtschaft, überlassen.

Dieser Bückling der grün-roten Regierung vor den Neoliberalen ist mit dafür verantwortlich, dass Normalverdienende und erst recht die vielen neuen Armen in unserer Gesellschaft keine Chance mehr auf eine Stadtwohnung haben.

Und wenn uns die Unterbringung von Geflüchteten in dieser Stadt mit ihrer nach wie vor starken Wirtschaft Schwierigkeiten macht, dann hat dies sehr wohl mit einer verheerend undemokratischen Stadtentwicklung zu tun – nämlich mit einer Stadtplanung zu Gunsten der Investoren und der Reichen auf Kosten der großen Mehrheit.

Es ist in dieser Republik kein Problem, Soldaten der Bundeswehr mit parlamentarischen Entscheidungen blitzkriegsschnell in einen Krieg zu schicken. Aber es ist anscheinend unmöglich, die Ursachen der Flucht-Bewegungen, etwa die Waffenlieferungen an Folter-Diktaturen, zu bekämpfen.

All diese Dinge liegen dicht beieinander. Und wir können nicht davon ausgehen, dass tatsächlich jeder und jede, die zu einer Demo gegen S 21 kommen, immer auf der weltoffenen und humanen Seite stehen. Jede Menschenansammlung hat viele Gesichter. Das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir uns mit der Wohnungspolitik im Zusammenhang mit der Flüchtlingsnot auseinandersetzen – und damit auch mit den Fremdenhassern, den Rechtsextremen und Faschisten und ihren pausenlosen Verbrechen.

Den Einwurf, diese eben von mir genannten Themen hätten auf der Montagsdemo nichts zu suchen, habe ich im Lauf der 300 Demos nicht nur einmal gehört. Allein aber über einen Bahnhof, seine Gleise oder den Tunnel unterm rechtzeitig zur Landtagswahl wieder startklaren Fernsehturm zu diskutieren, erscheint mir so naiv wie das rührende Geschwätz unseres neuen Baubürgermeisters: Der will, ich zitiere, das „Wohnzimmer der Stadt“ mit einem neuen „Teppichboden“ belegen. Gemeint ist unser plüschiger Marktplatz. Dort gibt’s bisher nicht mal eine ordentliche Gaststube.

Gegen diese Art grüner Kosmetik bei der Stadtentwicklung müssten wir noch viele Mahnwachen in der Stadt aufstellen – und damit sind wir bereit für einen großen Applaus auf die heutige Zahl 300: Nach wie vor stehen tapfere Frauen und Männer unermüdlich Wache in dieser Stadt. Versierte Architekten und Juristen, Ingenieure und andere Experten klären uns mit immer neuen Fakten über die vielen Schweinereien auf, von denen wir ohne unsere 300 Montagsdemos nie gehört hätten.

Der heutige Tag in dieser Umgebung hat ja besondere Reize, liebe Freunde: Nicht weit von hier kämpfen sich gerade die Massen durch den Weihnachtsmarkt. Und vehement wird bereits gefordert, ihn abends länger zu öffnen. Ich unterstütze diesen Plan im Sinne unseres wachsenden Wachstums und beantrage hiermit, den Weihnachtsmarkt künftig von der Königstraße bis hin zum Müllaneo auszudehnen – bei Bedarf gräbt Herrenknecht im Namen des Christkinds noch schnell einen Tunnel. – Damit will ich nichts gegen die spirituelle Kraft des Rummels und die erotische Leuchtkraft des Kitsches gesagt haben.

Wir müssen ja, so predigen es uns die Reaktionäre, die deutschen Traditionen hoch halten – auch wenn die kaum einer kennt. Die Werte des christlichen Abendlandes aber, da bin ich mir sicher, werden nirgendwo so hart verteidigt wie auf dem Stuttgarter Glühweindorf.

Verehrte Protest-Gesellschaft von Stuttgart, denken Sie bitte daran: Das Gute in unserem Fall kommt bei Gott nicht von oben. Deshalb bleiben wir da unten auch in Zukunft auf der Straße. Ich wünsche Ihnen allen eine besinnliche, eine anregende und vor allem ermutigende Vorweihnachtszeit. Wir müssen weitermachen!

 

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