Bauers Depeschen


Montag, 26. Oktober 2015, 1541. Depesche



 



LIEBE GÄSTE,

heute beginnt wieder das Kolumnenschreiben. Unten eine kleine Sache aus den Beständen, einige Jahre alt. Noch zwei Hinweise:

Für "Die Nacht der Lieder", die große Benefiz-Show am 8./9. Dezember im Theaterhaus, gibt es nur noch sehr wenige Karten. Und für den Flaneursalon am 15. Dezember im Schlesinger hat der Vorverkauf begonnen - Karten gibt es nur direkt in der Kneipe, die so oder so einen Besuch wert ist.



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LIED DES TAGES



DIE FARBE DES TRINKGELDES

Schnelle Betrachtungen über die Kneipe

Leider weiß ich nicht, ob die Kanak-Sprak nach "Hast du U-Bahn – Nein, ich geh Aldi" auch die Botschaft kennt: "Ich bin Kneipe."

Vermutlich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob die Kneipe heute noch Bedeutung hat oder Ansehen genießt. Genau genommen weiß ich auch nicht, was eine Kneipe ist. Man hat mich gebeten, etwas zur Kneipe zu sagen. In diesen Internet-Enzyklopädien kann man lesen, der Begriff Kneipe komme aus der Studentenkultur des 19. Jahrhunderts und definiere sich heute durch Zapfbier. Weniger erhellend wäre auch nicht, Peter Alexanders Hit zu singen: "Die kleine Kneipe in unserer Straße / da wo das Leben noch lebenswert ist / dort in der Kneipe in unserer Straße / da fragt dich keiner, was du hast oder bist."

Das bringt uns nicht weiter. In unserer Straße ist das Leben nicht lebenswert, und in der kleinen Kneipe in unserer Straße fragt dich nur deshalb keiner, was du hast oder bist, weil sie bankrott und geschlossen ist.

Ich schätze, der Begriff Kneipe hat ausgedient. Im Grunde war er sowieso immer eine Notlösung. Selbst in meiner Generation war es oft cooler, ins "Wirtshaus", ins "Gasthaus" oder in einen "Laden" zu gehen als in die Kneipe. Die "Bar" wurde hierzulande lange nicht als Einrichtung der gastronomischen Königsklasse gewürdigt, sie war in den Köpfen nur als Rotlicht-Etablissement existent, und der dezente Hinweis, man gehe mit dem Ziel „one for my baby and one more for the road“ in eine BAR, galt als Angeberei.

In den späten Neunzigerjahren, als sich Bars, auch die mit den Cocktails, sogar in Stuttgart durchgesetzt hatten, verbot das Kulturamt einem Kneipenpächter, seinen Laden im Gustav-Siegle-Haus, im heutigen Bix Jazz Club, "Siegle-Bar" zu nennen. Den Begriff Bar, wähnte damals der selten undurstige Kulturamtsleiter, assoziiere man im Viertel mit den Rotlicht-Klitschen. Wie immer ging der Typ, seiner alten Heimat Reutlingen verhaftet, von sich selbst aus.

Sämtliche Begriffe für die Schänke taugen zur Kategorisierung einen Dreck. Der Sterne-Koch Vincent Klink nennt sein Restaurant Wielandshöhe, ein Haus in feinster Lage mit herrlichem Blick auf die Stadt, immer "Wirtschaft". Ihm Koketterie oder Understatement unterstellen, wäre falsch: Herr Klink sieht seinen Laden als erdverbundenes Haus, als Ort, an dem der Koch rackert und der Wirt schafft: zwar ein Kalauer, aber nahe an der Wahrheit.

Das Keipenleben änderte sich für mich dramatisch, als nach den Achtundsechzigern und den Hippies die sogenannten Alternativ-Läden, die Szene-Kneipen aufkamen. Das war das Ende der Kneipenkultur. Der Mensch hüte sich vor selbsternannten Szene-Kneipen. Auf einmal hielten alle "das Ambiente" für maßgebend, jetzt war es schick, den Schankraum mit alten Sofas und dicken Büchern, verratzten Emailschildern und ähnlichem Plunder zu dekorieren. Außerdem mussten Plakate mit Frank Zappa auf der Kloschlüssel und dem Che Guevara Konterfei an der Toilettentür hängen. Darauf ist geschissen. Diese Kneipen waren meist das Letzte: dreckig, keiner konnte Bier zapfen, es galt als groovy und easy, die Gäste wie Abschaum zu behandeln. Der Gast ist König? Man spielte Basisdemokratie und Anarchie, und beide Tresen-Konzepte hatten in Wahrheit mit Faulheit zu tun.

Schon in meiner frühen Kneipenära, Anfang der Siebziger, besuchte ich lieber eine Kaschemme als eine Studentenkneipe. Die Entscheidung für die Kaschemme, die Sozialstation, hatte weniger mit Romantik und Hemingways in Wirtshausschlachten verkrüppelten Helden zu tun als mit der Tatsache, dass man in einem heruntergekommenen Saftladen, der nur Flaschenbier verkaufte, nicht aus dreckigen Gläsern trinken musste.

Kneipenschmuddel ist zum Kotzen.

Bis zum heutigen Tag ist Kneipe ein verwaschener Begriff – und das Ambiente überschätzt. Es gibt bei uns genügend Gastro-Intelligenzler, die auf ihrem Betriebsausflug nach Paris in einem grün gestrichenen, gut besuchten Bistro landen; wieder zu Hause, haben sie nichts Besseres zu tun, als ihre eigene Tankstation grün zu streichen. Dass nicht der grüne Star die Leute anlockte, sondern die klügste Kellnerin der Stadt den besten Wein des Quartiers servierte, bemerkten sie nicht. Sie dachten, Grün sei der Lack der In-Kneipe und die Farbe des Trinkgeldes.

Mir war die Ausstattung einer Kneipe zeit meines Lebens wurscht. Man kann sich unter gewissen Umständen in einer Bar auf der Party-Meile wohler fühlen als in einem rustikalen Loch und umgekehrt. Heute hier, morgen dort. Es gibt Leute, die gehen in ein irisches Pub und fragen den Wirt, ob seine Kneipe dreißig oder fünfzig Jahre alt sei. In Wahrheit wurde der Saftladen vor sechs Wochen von einem Guinness-Zuliefererbetrieb aus der Retro-Branche eingerichtet und auf "alt", "urig" und "rauchig" getrimmt.

Old Mac Donald had a Pub.

Das einzig Wichtige an einer Kneipe, das habe ich nach reichlich Lehrgeld begriffen, ist der Wirt oder die Wirtin. Ein guter Wirt ist fair und diskret. Ein guter Wirt macht seine Spelunke so sauber, dass sich der Gast an der Theke vertrauensvoll betrinken kann. Egal ob er auf Champagner, Racke rauchzart oder einen Gimlet steht. Ein guter Wirt ist nicht nachtragend, er spielt nicht dauernd laute Musik, und er empfängt seinen Gast auch dann noch als besten Freund des Hauses, wenn er am Abend zuvor den Schuppen um ein Haar in den Ruin geprügelt hätte. Und irgendwann ruft der gute Wirt mit Feingefühl den besten Taxifahrer oder gleich den Notarzt. Der Wirt hat Stil.

Es spielt also keine Rolle, ob zwei Veganer oder eine Million Trinker sagen: "Ich geh Kneipe." Der Wirt muss die Haltung verkörpern: "Die Kneipe geht auf mich, sie ist mein Ding." Wenn der Wirt gut ist, gehe ich hin. Unwichtig, ob er eine Wirtschaft, eine Bar oder ein anderes Freudenhaus betreibt.



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