Bauers Depeschen


Samstag, 29. August 2015, 1513. Depesche



FLANEURSALON LIVE am Sonntag, 18. Oktober im Theaterhaus - Buch-Präsentation ("In Stiefeln durch Stuttgart") mit Christine Prayon, Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Vincent Klink, Eva Leticia Padilla Band, Toba Borke & Pheel.

Vorverkauf: THEATERHAUS - Kartentelefon: 07 11/4020-720.



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Die aktuelle StN-Kolumne "Joe Bauer in der Stadt"



WELTMÄNNISCH

Es war schwül und feucht, als ich am Morgen über den Marktplatz und den Schillerplatz ging. Die Belagerung des Rathauses, der Stiftskirche und des Alten Schlosses ist in vollem Gang. Ich weiß nicht, ob der Rummel etwas damit zu tun hat: Vor meinen Augen kommt der Herr Oberbürgermeister aus dem Rathaus und eilt unter urban-gelassener Nichtbeachtung weiter Kreise der Bevölkerung in die nächste Apotheke.

Männer und Frauen, die am Vormittag rund ums Rathaus Tische und Bänke in ihren Lauben zurechtrücken, tragen ­Uniformen. Es handelt sich um eine Art androgyner Kostüme: Geschlechter übergreifend hat man das Personal in Lederhosen und karierte Hemden gesteckt.

Das Stuttgarter Weindorf ist heute auch ein Trachtennest, voll geil auf Zeitgeist getrimmt: Die Landeier-Klamotten aus dem Retro-Koffer heißen offiziell „City-Trachten“. Und ihre Erfinder nennen diesen ­Folklore-Kommerz ernsthaft „urban“.

Längst gebrauche ich das einst edle Wort „urban“ nur noch in Ausnahmefällen. Seit in den Städten der totale Konsum von Komakäufern in Shopping- und ­Fast-Food-Zentren ausgelebt wird, ist der Begriff „urban“ zu einem Hohlwort der Marketing-Abteilung verkommen. Jeder Saftladen nennt Kraut und Rüben heute „urban“ und spricht es cool amerikanisch aus: „örbän“.

Der Begriff wird im Duden und im Brockhaus mit „städtisch, weltmännisch, gebildet“ definiert. Man geht also mit weltmännisch gefüllter Krachledernen und stramm geschnürtem Mieder aufs städtische Weindorf und bestellt sich, international gebildet, des Metzgers „Ox to go“.

Das „Urban“-Gelaber vor dem Hintergrund der Ochsen zum Mitnehmen ist nichts anderes als der Versuch, mit einem anderen Wort für „modern“ die Trollinger-Backen aufzublasen. „Moderne Trachten“ klänge ja selbst in einem Kessel ziemlich dumm, wo Rathaus-Politiker bis heute glauben, „Stadtbelebung“ stelle man am besten mit Bier- und Weinfesten her. Gleichzeitig verbieten sie Alkohol auf öffentlichen, meist schäbig gestalteten Plätzen, damit ihre Jungs & Mädels keinem nach dem Leben trachten. Bei Zuwiderhandlung kommt die Trachtengruppe der Polizei und schleppt die armen Freiluft-Trinker vor den Strafrichter in der Urbanstraße, benannt nach dem Schutzpatron der Weinbauern.

Die Lauben-Froschperspektive beim Blick auf die Urbanität der Stadt ist so landpomeranzig wie der Glaube, weltläufiges Großstadtklima entstehe, wenn man die Stadt mit den immer gleichen Beton- und Glasklötzen für Hotels und Büros, Konzernläden und Luxusapartments zustellt. Da klingt es fast rührend, wenn die SPD angesichts der geplanten Opernsanierung samt einem Interimsbau für zwanzig Millionen Euro mitten im Schlossgarten wahres urbanes Leben mit den – wohl bei einem guten Stadtplaner entlehnten – Sätzen verteidigt: „Eine Stadt wird nicht dadurch definiert, was sie wo wie baut. Stadtprägend sind gerade auch die Räume, die nicht bebaut sind . . . Plätze, die zum Verweilen einladen und Kommunikation fördern, sind elementarer Bestandteil einer Stadtarchitektur.“

Elementar in Stuttgart aber sind Plätze, die zum Kommerz einladen. Des Volkes Lust auf Konsum-Uniformierung zeigt sich im Übrigen nicht nur beim Weindorf-Gelage, dem innerstädtischen Vorspiel aufs Volksfest auf dem Wasen. In einem Laden in der Hirschstraße liegen neben Dirndl und Lederhose auch schon Halloween-Trachten bereit. Und bald darauf trägt man wieder Nikolausmützen auf dem Weihnachtsmarkt, der nächsten Ballermann-Station im weltmännischen Event-Programm. Ich bin mir sicher, dass sich schon demnächst ­irgendwo in Tschechien oder China aus irgendwelchen Rauschgoldengel­Depots „City-Trachten“ auch für das Glühweindorf fabrizieren und bei uns verhökern lassen. Brauchtum made in Germany.

Allerdings gebe ich zu: Es ist alles andere als urban, sich wie unsereins über die Lust auf Landluft zu ärgern, wo der wahre Grund dafür doch mehr als simpel ist: Wichtigstes Teil der Trachten-Mode ist heute die Investierhose. Gefüllt bis zum Platzen. Darauf ein Prosit, bevor ich mich beim Spiel der Stuttgarter Kickers gegen Cottbus unter die blau-weißen Trachte mische.



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