Bauers Depeschen


Samstag, 28. März 2015, 1438. Depesche



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FLANEURSALON-TERMINE

AUSFLUG: Der nächste Flaneursaon mit Stefan Hiss, Dacia Bridges und Roland Baisch findet am Donnerstag, 16. April, in Stetten im Remstal statt, in der Glockenkelter, dem Domizil der politisch-kulturellen Initiative Allmende. 19 Uhr. Reservierungen sind möglich: 071 51/36 88 06 und info@allmende-stetten.de. Oder einfach auf der Flaneursalon-Seite via "Kontakt" anmelden.

HEIMSPIEL: Am 6. MAI sind wir in neuer Besetzung in der Stuttgarter ROSENAU. Mit Michael Dikizeyeko & Steve Bimamisa (afrikanische Songs), Marie Louise (Indie-Folk), mit dem Freestyle-Rapper und Zeremonienmeister Toba Borke sowie dem Beatboxer Pheel. Reservierungen ab sofort online: ROSENAU



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



VOM SAMENKERN

Als 1968 der Warnruf „Trau keinem über dreißig“ kursierte, hatte ich noch nicht mal die Hälfte der dreißig geschafft. Mit dreißig war man damals verdammt alt und der Meinung, doppelt so alt könne ein anständiger Mensch ohnehin nicht werden.

An diesem Sonntag feiert das Theaterhaus seinen 30. Geburtstag. Ob der Initiator, Mitbegründer und Bühnenchef Werner Schretzmeier mitgealtert ist, kann ich nicht beurteilen. Auf dem Papier ist er einundsiebzig, aber das bedeutet heute nichts mehr. Die frühere Generationen-Arithmetik ist längst zusammengebrochen. Viele Menschen kommen heute erst mit einundsiebzig auf die Welt und wundern sich später, was es alles so gibt. Diese Leute nennt man auch Hipster.

Im Jahr des 30. Theaterhaus-Geburtstags hat der Oberbürgermeister samt CDU eine Kulturinvestition von 30 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Nicht fürs Theaterhaus, sondern für die jüngeren Wagenhallen am Nordbahnhof. Aber das ist wurscht. Dreißig sind dreißig, und Symbol ist Symbol. Ob Millionen oder Milliarden – das spielt seit den Subventionen für das konspirative Subkulturprojekt Stuttgart 21 ohnehin keine Rolle mehr. Geld ist immer da. Man braucht nur die Lobby, es zu bekommen.

Der grüne OB, ein studierter Linguist (also Sprachgelehrter), hat neulich kundgetan, die Wagenhallen gehörten zum „Markenkern“ der Stadt. Weil ich ein Jahr älter bin als der OB, hipmäßig also im Nachteil, kann ich mit diesem Begriff nichts anfangen. Früher hatten’s die Grünen eher mit Sonnenblumenkernen, Samenkernen und Kernkraftwerken. Da besaßen die Körnerbrötchen noch nicht ihre heutige Kernkompetenz. Die dreißig Dingsbums Kohle für die Wagenhallen erwähne ich nicht etwa, um etwas zu vergleichen oder eine Rechnung aufzustellen. Geld ist eine abstrakte Sache. Geld interessiert mich nur im Wissen, wie unendlich schwierig es war, vor dreißig Jahren Peanuts für Veranstaltungen aufzutreiben, die nicht zum Kern der postmonarchischen Staatskultur zählten.

Man sprach von „Gegenkultur“, von „Kultur von unten“, schließlich von „alternativer Kultur“. Auf diesem Gebiet war Stuttgart bis zur Eröffnung des Theaterhauses eine Wüste, „halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot“, urteilten die Graffiti-Sprayer. Das hatte politische Gründe. Der Einsatz von Leuten wie Schretzmeier und Freunden wie Peter Grohmann für eine andere Kultur ging auf die sechziger und siebziger Jahre zurück. Die Neuen hatten nicht nur vor, eine Filiale für die zeitgenössische Unterhaltungsindustrie aufzubauen. Sie wollten auch politisch etwas verändern. Wenn schon nicht die Welt, so doch das Klima und die Lebensqualität im rabenschwarzen Stuttgart. Mit Parteipolitik hatte das nichts zu tun, zumal die Dixieland-beseelte SPD­Opposition mit ihrem soziokulturellen Kellertheaterblick nichts auf der Pfanne hatte. In Wahrheit war bei den stockkonservativen, von der katholischen Liturgie ­berauschten CDUlern im Bühnengeschäft mehr zu holen. Denen musste man, nach dem „Deutschen Herbst“, nur klarmachen, dass alternative Kultur mit linken Tönen nicht zwingend einer terroristisch gelenkten Weltrevolution diente.

In diesem Spiel der höheren Diplomatie erwies sich Werner Schretzmeier als Genie: verhandlungsklug, nervenstark, mit einer Angstfreiheit ausgestattet, wie man sie sonst nur von Bundeskanzlerinnen, Bankern und anderen Banditen kennt. Allein Schretzmeier – Manager, Regisseur und Politiker in Personalunion – konnte dem Wehrmachtsoffizierssohn Manfred Rommel auf dem OB-Stuhl verklickern, dass etwas Rock’n’Roll mit kritischen Zutaten dem Ansehen einer Provinzstadt ohne Nachtbetrieb nichts schadet.

Wir erinnern uns, wie der gelernte Industriekaufmann und spätere TV-Regisseur in den Talkessel eingedrungen war: erst mit Solidaritätskonzerten auf dem Killesberg für sein Ende der Sechziger in Schorndorf gegründetes Kulturzentrum Manufaktur, dann mit einem Zelt auf dem Stuttgarter Karlsplatz. Dieser Zirkus am Alten Schloss erhob sich wie ein Trojanisches Pferd in der Stadt.

Schretzmeier ist bis heute leidenschaftlicher Fußballer, er kennt das Spiel: Glück brauchst du auch noch in der 90. Minute. Dies wiederum hatte er dank seiner Frau Gudrun. Bei seinem 71. Geburtstag sagte er: Hätte er in den Achtzigern nicht in letzter Sekunde auf seine Frau gehört, wären sie nicht in einer alten Fabrik in der Nähe des Straßenstrichs von Wangen, sondern in den Räumen des heutigen Longhorn gelandet. Ob unter dieser Voraussetzung 18 Jahre später der Umzug auf die schöne Prag stattgefunden hätte, darf bezweifelt werden.

Der jüngste politische Theaterhaus-Coup ist der Auf- und Ausbau der Kompanie Gauthier Dance, eines Tanzprojekts für ein Publikum ohne Altersgrenze. Dennoch stänkern auch heute genügend Leute, der Mohr habe seine Schuldigkeit getan, der Schretzmeier möge gehen. Dass er den Laden einst mit erfunden und mit begründet hat, wissen viele gar nicht mehr. Sicher ist: Wollte man den Patriarchen von der Prag gegen seinen Willen von seinem Haus trennen, müsste man ihn mindestens dreißigmal so lange wegsperren wie Uli Hoeneß vom FC Bayern.



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