Bauers Depeschen


Dienstag, 24. Februar 2015, 1422. Depesche



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LIED DES TAGES



LIEBE GÄSTE,

in zwei Wochen, am Mittwoch, 11. März, ist der Flaneursalon in der FRIEDENAU in Stuttgart Ostheim. Die Karten gehen bisher ganz gut weg. Der Wirtshaussaal der historischen Gaststätte ist ein schöner Auftrittsort, wir wissen ihn zu schätzen. Es spielen Stefan Hiss, Dacia Bridges & Gabriel Holz, Roland Baisch. Beginn ist um 20 Uhr. Reservierungen sind möglich unter der Telefonnummer: 07 11 / 2 62 69 24. Die Friedenau ist leicht mit der Straßenbahn erreichbar: Linie 9, Haltestelle Raitelsberg, Fußweg 1 Minute.



Die aktuelle StN-Kolumne:



DIE WELT IN SCHACH HALTEN

Heute plaudere ich mal aus der Werkstatt. Das Wort plaudern ist in diesem Fall nicht falsch. Die Schreiberei ist ja auch eine Art Selbstgespräch, vermutlich immer in der eitlen Hoffnung, es gäbe interessierte Zuhörer. Heute habe ich das seltsame Bedürfnis, etwas über die Verbindung von Gedanken zu erzählen, und darüber, wie ein Friedhof und ein jüdischer Texaner in die Kolumne geraten.

Am frühen Sonntagabend, es war nasskalt und schon dunkel, ging ich durch die Innenstadt. Die Calwer Straße sah sehr tot aus, geisterhaft, und man fragt sich, warum sie trotz ihrer vielen Restaurants, Bars und Läden keine Seele hat. Überhaupt hat selten ein Quartier in der Innenstadt eine Ausstrahlung, die einen wirklich anzieht und wärmend aufnimmt.

Kommt man vom Rotebühlplatz, steht in der Calwer Straße linker Hand das traditionsreiche Antiquariat Müller & Gräff. Beim Blick ins Schaufenster fiel mir, platziert neben Bänden über das Stauferreich und die Geschichte baden-württembergischer Weine, ein Buch der Autorin Christine Arbogast ins Auge: „Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP – Funktionen, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite 1920 – 1960“. Wach am Abend machte mich vor allem die Zeitangabe: NS-Elite „1920 – 1960“.

Der routinemäßige Gedanke, das Nazi-Kapitel sei mit dem Ende des „Dritten ­Reiches“ erledigt gewesen, war schon immer heuchlerisch und gefährlich. Zurzeit tagt in Stuttgart der Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), und jeder muss begreifen, dass der braune Terror nach dem Zweiten Weltkrieg nicht beendet war. Er lebt. Am Montagmorgen rief ich den Stuttgarter Schriftsteller Wolfgang Schorlau an. Er arbeitete gerade in der Landesbibliothek an seinem neuen Kriminalroman zum Thema NSU. Monatelang hat er dafür recherchiert; das Buch wird im September erscheinen.

Wie auch einige Journalisten wurde der Schriftsteller im Ausschuss vernommen. Es ging um den NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. Erst Jahre nach dem Verbrechen waren die haarsträubenden Ermittlungen der Behörden, ihre unglaublichen Vertuschungen und Nazi-Verstrickungen ans Licht gekommen. Lange weigerte sich Baden-Württembergs Landtag, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Wolfgang Schorlau sagte mir: „Es ist mehr als merkwürdig, dass die Abgeordneten im Ausschuss nicht vom Innenministerium, nicht vom Justizministerium und nicht vom Verfassungsschutz über die Fakten informiert wurden. Und die Journalisten, die präzise recherchiert haben, werden im Ausschuss behandelt wie Märchenerzähler.“

An dem Sonntag, als ich in der Calwer Straße war, hatte ich eigentlich vor, Stuttgarts Israelitischen Friedhof Steinhaldenfeld zu besuchen. Die Straßenbahn braucht von der Stadtmitte bis zu dem Cannstatter Bezirk keine zwanzig Minuten. Am Mittag aber gönnte ich mir ein Matinee-Konzert mit Beethovens Fünfter unter der Leitung des charmanten Stuttgarter Staatsorchester-Chefs und Pferdeschwanzträgers Sylvain Cambreling in der Liederhalle und erledigte noch eine ehrbare Schreiberpflicht in Sachen Stuttgarter Kickers erledigt, und dann war es zu spät für einen Ausflug. Steinhaldenfeld muss also nachgeholt werden, und jetzt erzähle ich Ihnen, was mich auf den Jüdischen Friedhof brachte.

Neulich besuchte ich in Berlin die Show des amerikanischen Country-Musikers und Schriftstellers Kinky Friedman. Bei uns wurde er in den neunziger Jahren vor allem als Autor lustiger, skurriler, abgedrehter New-York-Krimis bekannt. Detektiv­romane wie „Ballettratten in der Vandam Street“ oder „Zehn kleine New Yorker“ feierte man als Kult. Weltweit Schlagzeilen machte Kinky Friedman, als er 2006 für das Amt des Senators von Texas kandidierte. Mit seinem pechschwarzen Humor schockierte er so ziemlich alle von links bis rechts und holte dreizehn Prozent der Stimmen. Politiker wie Bill Clinton und Musiker wie Bob Dylan liebten ihn ohnehin.

Kinky Friedman, in Chicago geboren, lebt heute in Texas und nennt sich einen „jüdischen Unruhestifter“. Die jüdische ­Geschichte spielt eine große Rolle in seinem Schaffen. In seinem Countrysong „Ride `em Jewboy“ geht es um den Holocaust. Seine Band nannte er, für viele Amerikaner eine Provokation, The Texas Jewboys. Immer wieder hört man von ihm den Satz: „Die Deutschen sind mein zweitliebstes Volk. Mein liebstes ist jedes andere.“ Erst 1998 konnte man den jüdischen Cowboy zu zwei Auftritten in Deutschland überreden, er spielte in der Passionskirche in Kreuzberg.

Kinky Friedman ist 70 Jahre alt. Nach reichlich Drogenproblemen und der Schriftstellerei als Therapie wirkt er heute jung und frisch. Ein uramerikanischer Entertainer: böser, lakonischer Komiker und sensibler Sänger, betörender Anekdotenerzähler und liebenswerter Mensch. Vor der Show ­signierte er, die kalte Zigarre im Mundwinkel, CDs und Bücher, viele der Fans begrüßte er per Handschlag.

Am Tag, als The Kinkster in der deutschen Hauptstadt auftrat, las ich auf der Titelseite der „Berliner Zeitung“, Israels Ministerpräsident Netanjahu fordere die Juden in Europa auf, wegen der jüngsten Terror-Anschläge nach Israel zu ziehen. Der Zentralrat der Juden und die Bundeskanzlerin widersprachen sofort: Jüdische Bürger in der Bundesrepublik seien sicher. Am nächsten Tag, nach einem schönen Abend bei Kinky Friedman, besuchte ich den Jüdischen Friedhof von Berlin-Weißensee, den größten seiner Art in Europa. Auf diesem Weg kommen die Dinge zusammen, so entstehen meine kleinen Texte.

In seinem Buch „Greenwich Killing ­Time“ schreibt Kinky Friedmann: „Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, paffte ein wenig und versuchte einfach so die Welt in Schach zu halten.“ Was könnte man anderes tun auf dieser Welt.



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