Bauers Depeschen


Mittwoch, 25. September 2013, 1178. Depesche



 



TAGEBUCH

Eines Tages wird auch dieses Buch gehaltvoller.



AKTION

Die Initiative für den Erhalt des Hotels Silber als Gedenkstätte und Lernort im Kampf gegen den Rechtsextremismus trifft sich an diesem Donnerstag, 26. September, demonstrativ um 16 Uhr im 3. Stock des Rathauses - dort beginnen eine halbe Stunde später die Haushaltsberatungen des Gemeinderats. Das Hotel Silber in der Dorotheenstraße (gegenüber vom Alten Waisenhaus) war einst die Stuttgarter Gestapo-Zentrale.



AKTION II

Wie es im Moment aussieht, findet am Samstag, 19. Oktober (14 Uhr), die nächste Großdemo der Stuttgart-21-Gegner auf dem Schlossplatz steht. Arbeitstitel: "Auch nach der Wahl: Die Straße lebt!". Als Bühnengäste zugesagt haben bisher die Ska-Band Nu Sports, der Berliner Kabarettist Arnulf Rating (Ex 3 Tornados) und unsereins.



REKLAME

Drei Viertel der Karten für den 15. Geburtstag des Flaneursalons am 5. November im Theaterhaus sind weg. Kommet zuhauf!



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne von diesem Donnerstag:



TROCKENER SUMPF

Im Niemandsland gelandet, über der Stadt. Hinter mir die Mercedes-Filiale, gegenüber der Schrauben-Würth, am Horizont die hoch­gezogenen Wohnkästen, die nicht ­gerade Heimatgefühle ausstrahlen. Sie gehören nicht zu meinem angesteuerten Revier.

Endstation Hallschlag, die neue Stadtbahnlinie 12. Über den Nordbahnhof bin ich an­gereist, habe nur begrenzt Zeit, und wie immer wäre es vermessen zu behaupten: Ich kenne die Stadt. Nichts weiß ich vom Hallschlag, dem vielleicht geheimnisvollsten Teil Bad Cannstatts. Nichts wissen bedeutet: das Übliche, Klischees, Vorurteile. Hie und da habe ich aus irgendwelchen Anlässen das Römer­kastell besucht, das sogenannt Medienzentrum, weitergestiefelt zum steinernen Paradies der Travertinschätze. Hallschlag-Ende.

Zwischendurch vom Bund-und Länderprojekt „Soziale Stadt“ gehört. Was heißt das schon. Es wird investiert im Hallschlag, und die Nichtbetuchten bekommen es zu spüren. Ich stehe an der neuen Stadtbahnhaltestelle, an einem sommerlicher Frühherbsttag, schaue ratlos aus der ­Wäsche. Querfeldein zu den Reihen­häusern, Sozialwohnungen. Vorstadtkasernen, erbaut in den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren. Viele trostlos grau, mit Satelliten bestückt, einige werden gerade renoviert und damit teurer. Ich streife die Berufs­fachschule für Druck und Kommunikation, sie trägt den Namen ­Johannes ­Gutenbergs, frage ein paar Jungs, was geht. Cool, Mann, alles cool. Was soll man einem Fremden sagen, wenn er blöd fragt.

In der Lübecker Straße, in der Nähe der Rostocker Straße und der Dessauer Straße, schaut ein Mann mit Trainingsjacke aus dem offenen Fenster. In Rostock und in ­Lübeck war ich mal, in der Rostocker Straße und in der Lübecker Straße im Hallschlag noch nie. Der Mann am Fenster ist Rentner, lebt für sechshundert Euro monatlich in einer fünfzig Quadratmeter großen ­Wohnung. Vor vier Jahren ist er von der Urbanstraße, nicht weit weg vom ­Neckartor, in den Hallschlag gezogen. Seine Bleibe in der Stadtmitte war ihm zu teuer geworden. ­Sehen Sie, sagt er, heute wohne ich praktisch im Grünen.

Zwischen zwei Reihenhaus­zeilen ein ordentlicher Rasenstreifen mit Wäsche­ständern. Alles gut, sagt der Mann, die Nachbarn umgänglich, keine Probleme, die Hälfte der Leute Ausländer; die aus dem ­Süden haben erkannt, dass die Grünstreifen gute Picknickplätze sind. 7300 Leute leben im Hallschlag, neunzig Nationalitäten.

Wie der Nordbahnhof, wie Raitelsberg oder Rot gehört der Hallschlag zu den Revieren mit schlechtem Ruf, und kaum einer weiß heute noch, wo dieser Ruf herkommt. Vornehm, eher ahnungslos spricht man in solchen Fällen von „sozialen Brennpunkten“, vielleicht weil früher mal die Polizei im Kiez etwas mehr zu tun hatte als in den Reichenvierteln auf dem Killesberg. Vielleicht auch, weil die Leute seit jeher argwöhnisch sind, wenn sie von Sozialwohnungen und Arbeitersiedlungen hören. Die wahre Schuld am schlechten Ansehen von Stadtteilen hat meist die ­Tatsache, dass es zu wenige Neugierige gibt, auch zu wenige Rathauspolitiker, die sich auf die Socken ­machen und ihre Stadt ­beschnüffeln.

Unsereins ist ein Spaziergänger, ich habe mir keinen Rechercheauftrag gegeben, gehe ziellos die Hauptstraße namens Hallschlag entlang, bewundere an der Ecke zur Straße Auf der Steig einen heruntergekommenen Betonkasten mit zwei nebeneinander liegende Kneipen. Die eine heißt Asia Orchidee, die andere König Kebab. Galgenhumor.

Der Hallschlag, so steht es im Buch „Die Stuttgarter Straßennamen“, trägt seinen Namen seit 1908. Gratulieren wir ihm zum 105. Geburtstag. Angeblich lässt sich Hallschlag von Hal und Schlatt herleiten: ­trockener Sumpf.

Bis hierher, verehrtes Publikum, ging es mir allein um einen nervösen Schnell­durchlauf, um einen Text, der aus schlechtem Gewissen geboren wurde. Schon lange habe ich den Verdacht, dass wir in Stuttgart kein richtiges Verhältnis zu unseren Stadtteilen, zu unseren Vierteln, zu unseren ­Satelliten ­haben. Das fängt in der Altstadt an und hört beim Hallschlag nicht auf. ­Damit meine ich bei Gott nicht die Leute, die gute soziale und politische Arbeit in ihren Quartieren leisten. Ich meine mich und die anderen, die zu ­bequem sind, sich mit den Reizen der Ränder zu beschäftigen.

Die nächste Tour zum Hallschlag muss gehaltvoller werden. Das bin ich meinem schlechten Gewissen schuldig.



>> Joe Bauers Flaneursalon feiert 15-jähriges Bestehen: Am Montag, 4. November (20 Uhr), gibt es im Theaterhaus die Lieder- und Geschichtenshow zum Geburtstag. Musik: Dacia Bridges & Wolfgang Dauner, Los Santos, Roland Baisch, Toba Borke & Pheel, Roland Baisch und ­Uta Köbernick. Karten: THEATERHAUS - 07 11/4 02 07 20.



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