Bauers Depeschen


Montag, 17. September 2012, 977. Depesche



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FLANEURSALON LIVE AM 25. SEPTEMBER

Am Dienstag, 25. September, ist die Lieder- und Geschichtenshow im Club Speakeasy, Rotebühlplatz 11. Zam Helga, Toba Borke & Pheel, Dacia Bridges & Alex Scholpp. Beginn 20.30 Uhr. Karten zu 12 € gibt es Di - Sa im Plattencafé Ratzer Records im Leonhardsviertel (neben dem Brunnenwirt) und im Internet: EVENTBÜRO



SOUNDTRACK DES TAGES



TAGEBUCHEINTRAG

Zurück aus Dortmund. Zweimal Fußball. Borussia Dortmund gegen Bayer Leverkusen 3:0, Borussia Dortmund II gegen Stuttgarter Kickers 1:1. Schöner Ausflug, gute Freunde getroffen. Fußball ist was anderes als eine Horde Karlsruher, deretwegen die Polizei das Derby der Kickers gegen den KSC (29. September) aus "Sicherheitsgründen" von der Waldau ins Neckarstadion verlegen wollte. Am 29. September ist Volksfest, außerdem findet eine Großdemo auf dem Schlossplatz statt (darüber demnächst mehr). Inzwischen hat man entschieden: Das Spiel wird am Mittwoch, 24. Oktober, angepfiffen - auf der Waldau! Aus Sicherheitsgründen aber darf die Partie Borussia II gegen Hansa Rostock nicht im kleinen Dortmunder Stadion Rote Erde stattfinden, sie muss nach der Randale der KSC-Typen neulich beim Spiel in Dortmund in der großen Arena ausgetragen werden. Wir sollten uns nicht vom IQ Karlsruhe terrorisieren lassen.



NOTIZ

Die aktuellen StN-Kolumnen gibt es nicht mehr StN online. Bis auf Weiteres nur hier. Bald sind sie vielleicht nur noch gegen Bezahlung zu lesen. Der heutige Text ist kein aktueller, ursprünglich habe ich ihn für Vincent Klinks Magazin "Häuptling Eigener Herd" zum Thema "Resterampe" geschrieben.



DIE SACHE BLEIBTREUSTRASSE

Im Literaturhaus auf dem Bosch-Areal sah ich eines Tages eine Collage mit einem Text an der Wand, die Nobelpreisträgerin Herta Müller hat ihn einst ihrem Freund Oskar Pastior gewidmet:

„Lieber Oskar, wenn ich dich einmal verpasse / such mich in der Bleibtreustraße / ich steh im ersten Wind-Coupé / und trage eine Wasserwaage.“

Weiß der Teufel, warum mir diese Geschichte dazu eingefallen ist:



DER SCHMODDRE-MANN

Wenn es dunkel wurde in der Stuttgarter Altstadt, kam der Schmoddre-Mann. Unauffällig, im Winter vermummt wie ein Polarforscher, stand er am Leonhardsplatz und wies den Leuten den Weg ins Glück der Spielhöllen.

"Schmoddre" kommt aus dem Wörterbuch der Rotlicht-Veteranen. Als die Herren noch eine Macht waren im Milieu, pflegten sie eine eigene Fantasiesprache. Ihren Slang hatten sie, das glaubten sie jedenfalls, dem Wortschatz der "Zigeuner" entnommen. Ein Mann zog mit dem Zeigefinger seinen Augenring nach unten und sagte: "Schmoddre". Das bedeutete: "Schau, Junge", "Mach die Augen auf, Alter", "Sei wachsam, Kumpel".

Der Schmoddre-Mann schob im Nahverkehr am Leonhardsplatz Dienst als Lotse und leitete Berufsspieler und blutige Anfänger in geheime Clubs, die Zocks. Diese Läden waren illegal oder geduldet, je nachdem. Meist waren die Spielhöllen getarnt als gemeinnützige Vereine für Schach, Skat oder deutsch-arabische Kultur, je nachdem. Wenn der Zocker außer einem guten Kartentisch ein günstiges Produkt der Firma Rolex suchte, verlangte er nach einem Osnik oder Osnak. Solche Wörter dienten als Code, um Lobe zu machen. Männer, die Lobe (Geld) machten, lebten von der Kuppe ihrer Damen (Kuppe = Hurenlohn). Selbstverständlich besaßen sie eine eigene Währung. Ein Heiermann war ein Fünfer, ein Dix (französisch) ein Zehner, ein Pfund ein Zwanziger, ein Kilo ein Hunderter. Zehn Kilo waren ein Großer, ein Brauner, ein Riese, je nachdem.

Es klingt, als erzählte ich Dinge aus dunkler Vergangenheit. Unsinn. Der Schmoddre-Mann wurde noch Anfang des neuen Jahrtausends gesichtet, bevor er sich in ein Haus für erotische Wellness zurückzog. Da war er schon über die Siebzig hinaus. Wie seine Kollegen – jeder unabhängig seines Alters nur "Junge" genannt – hatte er in den fünfziger Jahren seine Karriere im Milieu begonnen. Man trug Maßanzüge, Rüschenhemden und Seidenstrümpfe.

Im Gegensatz zu modernen Wellness-Puffs setzt das Bordell alter Schule auch heute noch auf erfahrenes Hardware-Personal. Wer sich an den ZDF-Vierteiler "Der große Bellheim" von 1992 erinnert, kann sich ungefähr ausmalen, wie es in einem Traditionshaus zugeht. Man denkt an reaktivierte Rentner wie die "Bellheim"-Helden Mario Adorf, Heinz Schubert, Will Quadflieg, Hans Korte. Anders als im Film allerdings gehen die über Siebzigjährigen Herren der Altstadt im Puff zum ersten Mal in ihrem Leben einer geregelten Arbeit nach. In Anlehnung an das englische Wort für Cojones nenne ich die Freudenhaus-Rentner die großen Ballheims.

Wichtigste Geschäftsgrundlage im Milieu ist seit jeher Diskretion. Deshalb werde ich nicht erzählen, wie viele Jahre Knast es einem der großen Ballheims in den Siebzigern eingebracht hat, als er in Berlin in einen bewaffneten Branchenkrieg gegen persische Zuhälter und Drogendealer zog. Tatort war in Ku'dammnähe die Bleibtreustraße. Nach der Schießerei hieß sie eine Zeitlang Bleistreustraße.

Veteranen wie der Straßenkämpfer i. R. und der Schmoddre-Mann a. D. halten heute die subkulturellen Reste der alten Tagen zusammen. Man sollte sie dabei nicht stören und sich nicht mit ihrem Boss anlegen. Der hat die Siebzig auch schon überschritten, aber immer noch das Zeug, manchem deutschen Profiboxer im Ring Manieren beizubringen. Falsch wäre es auch, den Familiensinn im Hause Ballheim zu unterschätzen. Die Fürsorglichkeit erinnert an Uli Hoeneß und den FC Bayern.

Trotz allem gibt es nicht viele guten Gründe, den Dingen von früher nachzutrauern. Im Gegenteil. Hätte sich am Leonhardsplatz die einstige Rotlicht-Zentrale, der Brunnenwirt, nicht gastronomisch weiterentwickelt, wäre die sogenannte Innenstadt heute um eine Oase schwäbischer Hausmannskost ärmer. Im Brunnenwirt gibt es Gaisburger Marsch, saure Kutteln, Schinkennudeln. Nur die Huren sind nicht mehr im Haus, sie sind heute billiger zu haben als saure Kutteln.

Nur noch alte Sexualmanager im Ruhestand erinnern sich, wie auf dem Männerklo im Brunnenwirt, in der geräumigsten Pissrinne des Kontinents, ein Toter lag. Er hatte wohl ein Messer-Problem. Nicht einmal Herr Peter Müller, abwechslungsweise Pit und Oskar genannt, kann Genaueres von diesem Mord berichten, obwohl der Mann mit der Cartier-Brille und der Breitling-Uhr gleich um die Ecke die schönste Resterampe der Rotlichtszene betreut. Die Uhu-Bar.

Die Freunde haben Herrn Müller nach dem Helden-Kater der Comicserie "Oskar der Familienvater" getauft, weil es ihm schon in jungen Jahren gelang, in extrem kurzen Intervallen eine Handvoll Kinder mit verschiedenen Müttern in die Welt zu setzen.

Heute ist der potente Oskar über siebzig und leitet im Erdgeschoss des Bordells die Uhu-Bar. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in Frankfurt verbracht. Nach Stuttgart haben ihn die Kollegen zurückgeholt, um in Bellheim-Manier die kleine Bar zu neuem Glanz zu führen.

Der Laden, mit Grammofon, Biedermeiersofa und Butzenscheiben ausgestattet, sieht aus, als hätte ein Filmteam die Kulisse eines Plüschpuff-Pornos für FDP-Wähler zurückgelassen. Heute kommen Hinz und Kunz, junge Partygänger und Großverdiener zu Oskar, alle auf der Suche nach Bordell-Nostalgie. Keiner kann in den Laden einfach hineinstolpern wie ein dahergelaufener Freier, der im Stockwerk darüber Entspannung gegen Bares sucht. Jeder hat an der Tür zu warten, bis Oskars Daumen rauf oder runter geht. Oskar ist nicht irgendwer. An der Wand zeigen ihn Fotos neben Muhammad Ali und anderen guten Jungs. Diese Bilder sind micht gefälscht, auch wenn dieser Gedanke nahe liegt in einer Gegend, wo einst Konrad Kujau seine Arbeit an den "Hitler-Tagebüchern" mit Champagner begoss.

Bei Oskar ist alles echt und falsch, so wahr wie Oskars Geschichten nur glauben kann, wer dabei gewesen ist. Womöglich hat er sich wirklich einmal auf die Autobahn gelegt und den toten Mann gespielt, um sich Benzin für die Befreiung eines Kollegen aus dem Knast zu besorgen. Deshalb: Schmoddre, wenn der große Ballheim kommt.



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