Bauers Depeschen


Samstag, 14. Juli 2012, 946. Depesche

NÄCHSTER FLANEURSALON am Dienstag, 25. September, im Club Speakeasy, Rotebühlplatz 11. Mit Toba Borke & Pheel, Zam Helga, Dacia Bridges & Alex Scholpp.



SOUNDTRACK DES TAGES

SONG ZUM TEXT



Die aktuelle StN-Kolumne:



THIS LAND IS YOUR LAND

Heute ist der 14. Juli, und es war der 14. Juli, als die Pariser die Bastille stürmten. Daran erinnern sich nur noch die, die dabei waren.

Der 14. Juli ist ein großer Tag. Am 14. Juli wäre Woody Guthrie hundert Jahre alt geworden. 1967 ist er gestorben, deshalb kenne ich ihn nur aus Spielfilmen. Dennoch habe ich mich gewissenhaft auf seinen Geburtstag vorbereitet. Der Plattenhändler Ratzer in der Altstadt hat mir ein Köfferchen mit CDs und dem serienmäßigen Aufkleber „Dusty Road“ („Staubige Straße“) besorgt und zwei Vinyl-Platten nachgereicht. Auf dem Cover beider Scheiben, 2009 veröffentlicht, heißt es, ich hielte einen Schatz in Händen, ich würde mich fühlen, als begegnete mir Woody leibhaftig.

Auch die neue Biografie „Woody Guthrie – Die Stimme des anderen Amerika“ von Barbara Mürdter habe ich organisiert, sodass mein Woody-Guthrie-Festival heute steigen kann. Das Festival wird eine große Sache, zumal es ganz nach meinem Geschmack abläuft. Ich bin der alleinige Veranstalter und einzige Teilnehmer.

Woody Guthrie ist bei uns nicht so bekannt, obwohl er mit „This Land Is Your Land“ Amerikas zweite Hymne nach „Star Spangled Banner“ geschrieben hat. Ohne Woody Guthrie, geboren in Oklahoma, gestorben in New York, hätte es womöglich Bob Dylan nicht gegeben, die amerikanische Arbeiterbewegung hätte keinen Vorsänger gehabt, und viele Aktivisten des heutigen Protests gegen die Finanzhaie wüssten nicht, warum der Kampf um Bürgerrechte damals wie heute ähnliche Lieder braucht. In seinem Song „Pretty Boy Floyd“ singt Woody Guthrie: „Some will rob you with a six-gun, / And some with a fountain pen.“ Zu Deutsch: „Manche Leute rauben dich mit einem Revolver aus, / Andere mit einem Füllfederhalter.“

Woodys Scheiben im Sack, konnte ich in Ruhe herumspazieren. Ich ging ins Hospitalviertel. Es war Donnerstag und Straßenfest. In der Firnhaberstraße haben Bauarbeiter bereits das jahrhundertealte Wengerterhaus in Plastikfolie verpackt, um es abzureißen, und auf einer Bühne sang ein Kinderchor. Bei dem kleinen Fest waren Führungen durch das historisch interessante Viertel mit seiner Synagoge und der evangelischen Hospitalkirche angekündigt, und ich wollte schon aufspringen, als ich auf der Straße unsere wahren Führer sah.

Sie trugen dunkle Anzüge, parteigefärbte Gesichter, und sie bewegten sich in ihren dunklen Anzügen, als hätte Mama sie versehentlich in die falschen gesteckt. Den einen identifizierte ich als den CDU-Bundestagsabgeordneten Kaufmann, den anderen als den CDU-Oberbürgermeisterkandidaten Turner. Es ist Wahlkampf in der Stadt, und selbst beim kleinsten Fest ist keiner vor den politischen Straßenhausieren sicher.

Woody Guthrie singt: „This land is your land / This land is my land / From California to the New York Island.“

Zu Deutsch: „Dies’ Land ist dein Land / Dies’ Land ist mein Land / Vom schönen Kaltental bis nach Luginsland.“

Der dunkle Anzug mit dem ehemaligen Werbeunternehmer Turner drin ging auf fremde Leute zu, schüttelte ihnen die Hand und überreichte ihnen seinen Wahlpropagandaprospekt. Ein Junge neben mir, im Abiturientenalter, blätterte eine Weile darin, ich schaute ihm neugierig zu, und er fragte mich: „Was bedeutet Mutterwitz?“ „Fürchte dich nicht, mein Sohn“, sagte ich, „Mutterwitz hat auch in diesem Fall nicht das Geringste mit Humor zu tun.“

Im Wahlprospekt schreibt Turner über Turner in fetten Zeilen: „Weltoffener Stuttgarter mit Mutterwitz – in der Tradition von Manfred Rommel.“

Eine Windböe wirbelte den Staub der Straße auf meine frisch besohlten Stiefel, als ich diese Zeilen las, und ich dachte: Heute, wo der hausdurchsuchte Ex-Parteiboss Mappus die gute Tradition der CDU verkörpert, wo Banker und Politiker mit Montblanc-Füllern gemeinsam die Leute ausrauben, müssen die Schwarzen mit ihren dunklen Anzügen reichlich Straßenstaub aufwirbeln, um Stimmen zu holen.

Ich ging nach Hause, summte unterwegs zwei Zeilen aus Woody Guthries Räuberlied: „Als ich durch die Welt zog / Habe ich eine Menge komischer Typen gesehen . . .“



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