Bauers Depeschen


Freitag, 06. Januar 2012, 844. Depesche



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FLANEURSALON IM SCHLESINGER

Unser Abend am 21. Januar im Markt am Vogelsang (Bauernmarkthalle) ist bereits ausverkauft. Der nächste Flaneursalon findet am Dienstag, 28. Februar (20 Uhr), im SCHLESINGER statt - mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Tobias Borke. Schöne Kneipen-Atmosphäre. Karten gibt es im Lokal (07 11 / 29 65 15).



SOUNDTRACK DES TAGES



NOTIZEN

Am Donnerstag, 5. Januar, das Bad Berg besucht. Lautsprecherdurchsage am Nachmittag: Bitte verlassen Sie das Außenbecken, es zieht ein Gewitter auf. In der Stadt hält sich das Gerücht, am kommenden Montag werde die Bahn den Südflügel des Hauptbahnhofs abreißen lassen. Die weitere Zerstörung des denkmalgeschützten Bonatz-Baus ist ein Angriff auf das Leben in Stuttgart. Man muss nicht sentimental veranlagt sein, um die Amputation am eigenen Leib zu spüren. Als man am 25. August 2010 den Südflügel des Bahnhofs platt machte, habe ich auf die Schnelle noch folgende Zeilen zusammengebastelt, eigentlich war schon ein anderer Kolumnentext fertig gewesen:



136 HUFE ZU VIEL

Ich habe einen guten Platz gefunden an diesem bewölkten Augustmorgen, der aussieht, als sei der Tag noch nicht gelaufen. Es ist elf Uhr. Mit meinem kleinen Computer (den ich früher Fink genannt habe) sitze ich vor dem rot verputzten Café Luxem an der Gerokstraße, Blick auf ein Fachwerkhaus mit spitzem Turm. Linker Hand auf dem Hügel die Villa Hauff, älter als der Hauptbahnhof. Gerade biegt der 42-er-Bus um die Ecke. Ich bin mit der Bahn gekommen, Linie 15 Richtung Fernsehturm. Heute schreibe ich meine Kolumne im Freien und denke: Eines Tages werden sie dich fragen, wo du gewesen bist. Dann hast du es Schwarz auf Weiß.

Neulich bin ich schon einmal an der Haltestelle Heidehofstraße ausgestiegen und den Alfred-Lörcher-Weg hinauf zur Villa spaziert, ziellos, immer durchs Grün. Irgendwann landet man auf der Uhlandshöhe vor der Sternwarte, und man schaut hinunter auf die Stadt. Zu den Sternen blicke ich schon lange nicht mehr. Auch die Sterne lügen.

Es war ein schöner Spaziergang, doch habe ich danach vergessen, über meine Tour zu berichten. Inzwischen ging das Buch mit meinen Reisenotizen verloren, ich erinnere mich nur noch, wie mir beim Abstieg der Baron begegnet ist. Früher, als Liebesaffären in der Stadt erregender waren als heute, hatte der Baron internationalen Ärger mit seiner Frau. Aber das geht keinen was an. Selbst wenn ich mein Notizbuch noch hätte, würde ich die Geschichte nicht erzählen. Der Baron vertraut mir, und große Betrügerinnen und schleimige Banker gab es schon früher.

Das amerikanische Frühstück im Café ist gut. Eine Wespe greift meinen Marmeladentopf an, stört aber nur bedingt. Sie ist mir lieber als der Mann, der an der Bushaltestelle mit dem Pressluftbohrer hantiert. Es scheint keinen Ort mehr in der Stadt zu geben, wo nicht heiße Luft und Bohrmaschinen die Dinge regeln.

Dass ich kürzlich vergessen habe, über meinen Marsch zur Uhlandshöhe zu berichten, hatte wieder mit Stuttgart 21 zu tun. Man findet keine Atempause. Und heute, an diesem schwülen und wolkigen 25. August 2010, sitzen die Leute gerade beim Mittagessen an der Gerokstraße, als man mir vom Bahnhof meldet: Angriff auf den Nordflügel.

Das Café ist neben der Heidehof-Buchhandlung, es eröffnet keine besondere Aussicht. Ich hatte diese Position gewählt in der Hoffnung, es könnte mit mir aufwärts gehen, vielleicht zur Uhlandshöhe oder zur Waldau, weit weg vom Schlachtfeld der Stadt.

Ich habe mich getäuscht. Packe den Computer ein und fahre zum Bahnhof. Als ich ankomme, haben die Zähne des Baggers bereits ein Loch in den Nordflügel gerissen. Der Bagger speit Wasser, damit Beton nicht brennt, und man weiß nicht einmal, wem das Wasser gehört, nach den Cross-Border-Leasing-Schweinereien im Rathaus.

Schon anch kurzer Zeit sieht der Nordflügel aus wie nach Raketenbeschuss. Demonstranten rufen "Auf-hö-ren". Man kann sehen, was der Propaganda-Mister Drexler gemeint hat, als er vom "Rückbau" des Bahnhofs sprach. Das ist brutaler Abriss. Zertrümmerung der Geschichte. Man muss nicht besonders sensibel sein, um die Zerstörung im Magen zu spüren.

Und man muss kein Regisseur sein, um die Symbolik der Bilder am Bahnhof zu erkennen: Aus den Fenstern der oberen Geschosse des Bankgebäudes, diesem gesichtslosen Betonklotz der Gegenwart, halten irgendwelche Typen mit Video-Kameras die barbarische Amputation am Bonatz-Bau fest. Wir befinden uns auf dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz, gegenüber das Geschäftsgebäude, man hat es Hitlers Wegbereiter gewidmet, bis heute heißt es Hindenburgbau. Nicht jedes Kapitel Geschichte wird zertrümmert in der Stadt.

Der CDU-Stadtrat Wahl und sein ehemaliger Kollege Kußmaul von der SPD, habe ich am Morgen des 25. August 2010 in der Zeitung gelesen, loben 20 Cent für jeden aus, der Anti-Stuttgart-21-Kleber im Stadtbild entfernt. Die beiden Politiker nennen ihr Kopflosgeld "Abkratzprämie". Man müsste Abkratzprämien für Stadträte ausrufen, um auf die Wortwahl dieser schwarz-roten Koalition der Hochintelligenz hinzuweisen.

Im Schaufenster der Heidehof-Buchhandlung standen am Morgen Pferdebücher, vorsichtshalber hatte ich mir die Titel notiert: "Vier Beine für Christina", "Das Feuerfohlen", "136 Hufe zu viel".

136 Hufe, schätze ich, haben mich am Nachmittag des 25. August 2010 am Stuttgarter Hauptbahnhof getreten. Es waren die Hufe des Teufels, und ich hoffe, eines Tages wird er seine Abkratzprämie für die Richtigen kassieren.



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