Bauers Depeschen


Samstag, 28. August 2010, 568. Depesche



Der Krimi-Autor Wolfgang Schorlau ("Das München-Komplott") hat die Biografie des Stuttgarter Musikers Wolfgang Dauner, 74, verfasst. Das Buch erscheint dieser Tage unter dem Titel "Das brennende Klavier" in der Edition Nautilus, Hamburg. Dazu habe ich einen Text für "Sonntag Aktuell" geschrieben:



DER DAUNER

1935 galt Jazzmusik vielen Deutschen als Teufelswerk. So war es wohl göttliche Fügung, als der kleine Wolfgang wie eine Bibelfigur auf die Erde kam. Er schwamm zwar nicht wie Mose in einem Korb auf dem Fluss. Glaubt man aber seinem Biografen Wolfgang Schorlau, schob man ihn im Leiterwagen ins Leben: Die Tante Berta „hat den Wurm zunächst zu sich genommen und so verhindert, dass er ins Waisenhaus abgeschoben oder zur Adoption freigegeben wird“.

Es ist keine gute Zeit, auch nicht in Stuttgart-Bad Cannstatt, wo Tante Berta den Karren zieht. Adolf Hitler ist an der Macht, und um ein Haar hätte man den kleinen Wolfgang mit Nachnamen Knöpfle getauft. Dann, in einem lichten Moment, vermacht die Schneiderin Gretel Knöpfle dem unehelichen Sohn ihren Mädchennamen.

Wolfgang Dauner wird am 30. Dezember dieses Jahres 75 Jahr alt, und wenn man heute sagt, er trage einen klangvollen Namen, ist das nicht nur eine Floskel. Der Wurm im Leiterwagen, von Tante Berta und einer Pflegefamilie aufgezogen, hat seinen Weg als Musiker gemacht. Grandiose Ausflüge und gefährliche Klippen hinter sich, ist er heute eine internationale Größe: „Der Dauner“.

Zum Fünfundsiebzigsten gibt es neben der Biografie („Das brennende Klavier“) einen Dokumentarfilm („Dauner forever“), ein Soloalbum („Tribute To The Past“) und viele Konzerte. Gefragt, ob ihm das Jubiläumspaket nicht ein wenig testamentarisch vorkomme, sagt Dauner: „Ich habe noch nie mein Alter gefeiert. Das wäre kontraproduktiv. Ich fühle mich wahnsinnig jung.“

„Wahnsinnig“ zählt zu den Lieblingsvokabeln des Komponisten und Pianisten. Der Künstler Wolfgang Dauner hatte seit je eine Abneigung gegen Schranken, er mochte Grenzen so wenig wie der Film-Cowboy den Stacheldraht, und der Krimi-Autor Schorlau hat dazu eine schöne Anekdote aufgeschrieben: Als Zwölfjähriger, nach reichlich Klavierunterricht bei Tante Berta und der Lektüre von 35 Karl-May-Bänden, schickt Klein Wolfgang einen Brief an die „Cowboyband Texas, Nordamerika“, mit der Bitte, man möge ihn als einen der ihren ausrüsten. Er müsse nach Texas. Der Brief landet tatsächlich bei einer Country-Band in Abilene – und Wolfgang wird mit einem Kuhtreiber-Kostüm belohnt.

Die Episode ist symbolisch für Dauners Karriere. Schon früh fällt er durch ungewöhnliche Neugier und schräge Ideen auf. Bald ist er vom amerikanischen Lebensstil infiziert. Heute gilt er als einer der letzten großen deutschen Künstler auf der Musikbühne, die ihr Handwerk nach den harten Gesetzen des amerikanischen Entertainments gelernt haben. Zwar macht er eine Lehre als Maschinenschlosser und entwickelt bei Ungerechtigkeiten im Betrieb linkes politisches Bewusstsein. Dennoch spielt er, von Jazzgrößen wie Benny Goodman fasziniert, ohne Rücksicht auf Gesundheit und Ausbeutung nächtelang in den Stuttgarter Jazzclubs. An ausreichend Schlaf ist nicht zu denken.

Drogen fürs Wachsein sollten für den Nichtraucher aber erst später eine Rolle spielen. Marihuana, LSD und Kokain, sagt Dauner, hätten zunächst seine Lust aufs Experimentieren befriedigt. „Am Anfang hatte ich Musiker wie Charlie Parker im Kopf, die waren unglaublich gut, und die waren Junkies. Da musste ich herausfinden, ob man diese Musik nur mit Stoff machen kann.“

Erst in den achtziger Jahren nimmt er Koks gegen Tourneestress, etwa als Bandleader des damals süchtigen Liedermachers Konstantin Wecker (,,Genug ist nicht genug“). Das Thema taucht im Buch nicht als pädagogische Warnung auf. Dauner geht, wie es seine Art als Musiker ist, analytisch-präzise damit um. Drogen waren Teil des Jobs, unter ihrem Einfluss entstand Musik. Dass er sich später aus gesundheitlichen Gründen vom Gift abwendet, erscheint genauso logisch. Dauner will immer die Kontrolle.

Zeit seines Leben ist er frei von Berührungsängsten. Als Vollblut-Jazzer – seine Profikarriere gründet wohl auf einer bei den GIs gefundenen Trompete – geht er seiner Liebe zur Klassik nach und ignoriert schon früh die deutschen Grenzen zwischen E (wie ernste Musik) und U (wie Unterhaltung). Dabei gelingt ihm sogar das Kunststück, an der damals ausschließlich an Klassik orientierten Musikhochschule in Stuttgart zu studieren. Erstfach Trompete. Meriten als Bläser hatte er sich zuvor in den Tournee-Orchestern von Film- und Bühnenstars wie Marika Rökk und Lale Andersen erworben.

Dieses Pendeln zwischen Extremen schärft auch seinen in der Szene eher seltenen Sinn für Humor. Als er in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur musikalische Barrieren überschreitet, sondern Elemente aus Jazz und Rock, Theater, Film und Oper in wilden Happenings verarbeitet, kommt auch der Schalk in ihm zum Vorschein. Der Pianist und Bandleader macht Action, provoziert mit seinem Hang zum Komischen und landet so in der Königsklasse der Performance. Er trifft auf Weltstars wie Chet Baker und Friedrich Gulda und ist kommerziell erfolgreich, etwa als Kopf des United Jazz + Rock Ensemble.

Wolfgang Dauner, ohne Mutter unter dem Einfluss von Frauen aufgewachsen, hat in seiner Biografie anscheinend nur ein Thema ausgeklammert. „Der Blick ins Schlafzimmer ist nicht mein Ding“, sagt er. Die Geschichte seiner Beziehungen beschränkt sich auf Randi Bubat. Sie ist heute seine Ehefrau.

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