Bauers DepeschenDonnerstag, 07. Mai 2009, 322. DepescheBETR.: BOXEN Neulich, auf dem Weg von der Liederhalle nach Hause, stand ich vor der Alten Reithalle neben dem Hotel Maritim und erinnerte mich an eine kleine Geschichte; ich habe sie vor elf Jahren geschrieben. MENSCHEN IM HOTEL An der Decke der Hotelbar spiegelt sich eine tanzende Frau. Sie tanzt, so scheint es, mit sich allein. Das Zwo-Mann-Orchester in der Ecke spielt „On The Road Again“. Lächelnd wiegt sich die Frau im Rhythmus von Willie Nelsons Ballade. Sie ist nicht allein. Im Arm hält sie einen Teddy, drückt ihn an sich, als sei er lebendig und schliefe. Der Sänger der Zwo-Mann-Band räuspert sich, er sagt, er begrüße uns heute in dieser lustigen Nacht. Die Bar dient zum Aufwärmen. Die Gäste müssen gleich rüber in die Veranstaltungshalle des Hotels. Dorthin, wo die alten Kronleuchter überm Ring hängen, als hätten sich Sandsäcke in Kristall verwandelt, so groß, dass sie einen Elefanten erschlagen könnten. Irgendwann wird etwas passieren in dieser Nacht. Vielleicht wie im vergangenen Jahr, als der junge Boxer Timmy Punch unter den Riesenlüstern seine Zunge verschluckte und albträumte, bis ihn der Notarzt aus der Hölle holte. Vielleicht werden sie heute wieder einen ziemlich toten Boxer aus dem Ring schleifen. Dann könnte die Frau auf der Tanzfläche der Bar aufwachen, ihren Teddy in die Ecke legen und zur Feier des Tages einen Sieger übers Parkett schieben. Herr Ober! Bezahlen! Der Ernst beginnt: die Nacht der Boxer im Hotel. Das letzte Dutzend der Jungs, die einst, in den besseren Tagen des Rotlichts, Goldketten wie Nahkampfspangen trugen, haben heute noch einmal ihre Tresore geöffnet. Zwischen die Klunker ihrer Ausgehuniformen sind Havannas geraten. In der Hektik ihres Auftritts haben die Herren vergessen, sich Zigarrenabschneider zu besorgen. Später, nach den Kämpfen, wird einer im Vip-Raum von Tisch zu Tisch gehen und verlegen grinsend um Hilfe bitten. Dabei wird ihm eine 80 Mark teure, kalte Cohiba im Mundwinkel hängen. Es ist schwer geworden, das verdammte Niveau zu halten. Am Ring unter den Kronleuchtern hat heute auch der Schauspieler Platz genommenund auf die vernarbte Nase seines Landkartengesichts eine tiefschwarze Sonnenbrille gesetzt. Die Mähne, die er früher trug, hat man ihm abgeschnitten, weil seine neue Rolle, die größte seines Lebens, den kahlen Schädel eines russischen Killers verlangt. Der Schauspieler wird im nächsten James-Bond-Film den Kotzbrocken geben. Der Hallensprecher begrüßt ihn übers Mikrofon. Der Schauspieler verbeugt sich. Er sieht böse aus, und er ist der einzige Star im Publikum. Am Büffet des Vip-Rooms steht der berühmte Boxer. Er gibt sich unscheinbar in dieser Nacht der Kämpfe, die keine guten waren. Der 2,04 Meter große Killer aus der Ukraine winkt den Damen und den Herren der Damen, die ihm winken. Er sieht nicht aus wie einer, der vor einer Stunde einen Schwergewichtler aus Serbien nach 62 Sekunden k. o. geschlagen hat. Ach was: Er hat ihn mit einer harmlosen Kombination in einen kurzen Schlaf gestreichelt. Als sei der Gegner ein Teddy, der mit ihm tanzen will. DIE ENTDECKUNG DES NECKARS VORVERKAUF: Joe Bauers Flaneursalon im Fluss - am Donnerstag, 25. Juni 2009, auf dem fahrenden Neckar-Käpt'n-Schiff MS Wilhelma. 230 Passagiere haben Platz. Bordbegehung an der Anlegestelle gegenüber der Wilhelma ab 18.30 Uhr. Mit den Musikern Los Santos (Stefan Hiss), Michael Gaedt, Dacia Bridges, Anja Binder. (Siehe Depesche vom 29. 4.) Karten: T: 0711 / 2 555 555 und www.easyticket.de Ich danke Mirjam Aichele (Music Circus) und Johannes Zeller (Orgakomm) für die organisatorische Unterstützung. Die Veranstaltung ist nicht gesponsert. Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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