Bauers Depeschen


Samstag, 10. Mai 2008, 145. Depesche





Heute erlaube ich mir einen kurzen Pfingstausflug mit der Deutschen Bahn. Zurück lasse ich einen längeren Reisetipp:



IM BUNKER



An einem Nachmittag vor Pfingsten 2005 wurde ich in einer älteren Limousine der Firma Saab mit der Anweisung auf die Alb gefahren, in der Nähe von Kirchheim unter Teck ein Landschaftschutzgebiet aufzusuchen, um dortselbst wegen meiner angeschlagenen Gesundheit frische Luft zu schnappen.

Bei dieser Gelegenheit, sagte man mir, könne ich auch eine Idee zum Thema „Die Kunst der dekadenten Küche“ aufschnappen, denn einige Tage später war ich mit dem Stuttgarter Koch Vincent Klink und dem Berliner Verleger Klaus Bittermann zu einer Lesung ins Theater Rampe geladen und hatte außer einer kleinen Geschichte über ein Heslacher Grillhühner-Taxi nichts Passendes vorzuweisen.

Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt landete ich im Vorhof eines Dorfs namens Beuren, das neben einigen Hektolitern Thermalbadewasser und guter Landschaftschutzluft auch über ein Freiluftmuseum verfügt.

Die Verwaltung des Freiluftmuseums ist in einem großen, von der Öffentlichkeit abgeschirmten Landschaftsschutzgebiet untergebracht, das eigentlich gar nicht betreten werden darf. Unter dem Verwaltungsgebäude, im Stil einer zivilen Baracke errichtet, befindet sich nämlich ein Atomschutzbunker, den eigentlich keiner sehen soll. Neben dem Atomschutzbunker stößt man in dem Landschaftsschutzgebiet auf über 30 Munitionsbunker. Die wurden Ende der sechziger Jahre von der Nato gebaut, in der strategischen Absicht, den Russen im Fall eines weltrevolutionären Angriffs auf den Großraum Beuren Feuer unterm Arsch zu machen.

Die Munitionsdepots wurden still und leise geräumt, als man Ende der neunziger Jahre keinen Grund mehr sah, die Rote Armee im Großraum Beuren zu vernichten.Was von den Knallern aus den Depots übriggeblieben ist, weiß man nicht genau. Vermutlich kann man das Zeug heute in den Bahnhofsvierteln deutscher Großstädte bei den Herren des Russisch sprechenden Auslands erwerben.

Das Beurener Freiluftmuseum, wenige Fußminuten vom Verwaltungsgebäude entfernt, wird ergänzt von einer vorzüglichen Gartenwirtschaft. Von hier kann man auf eine Weide mit Rindern schauen, die mit ihren großen Hörnern an amerikanische Bisons erinnern und nach entsprechender Bearbeitung über einem guten Lagerdauerfeuer aus Nato-Beständen recht gut schmecken dürften.

Darauf will ich aber nicht hinaus.

Zuvor war ich in einer kleinen, mit guten Atomschutzbunker-Kontakten ausgestatteten Besuchergruppe in den Atomschutzbunker geführt worden, den man sich wie eine handelsübliche Knastzelle mit übereinander gebauten Plastikbetten vorstellen muss. Ein Horrokabinett unter Tage, dem kein U-Boot-Kapitän vertrauen würde: Wenn du hier einsitzt, gibt es kein Entkommen. Eine Falle, ein betonierter Sarg für lebende Leichen. Die Zellen von Stammheim wirken dagegen wie Freilauf-Gehege.

In diesem Kabuff des klaustrophobischen Grauens sah ich ein Schild an der Wand, das meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog – obwohl mich gerade ein Mann in schwarzem Anzug anrempelte. Der Mann war im Porsche angereist und hatte sich gleich nach seiner Ankunft als Metzinger Steuerberater ausgewiesen. Er trug eine Grubenlampe vor dem Hirn und machte sich daran, die stoßsicheren Sitze des Bunkers mit ihren eisenharten, dem Hals hauteng angepassten Nackenstützen zu prüfen: Aha, sagte er sich, die Recaro-Sitze der Nato.

Besagtes Schild behandelte „Die Verhaltensregeln im Schutzraum“. Eine der wichtigsten Anweisungen lautet so:

„Schlaflosigkeit, Hunger, Durst, Erschöpfung sind zu vermeiden“.

Ich wurde stutzig. Schwer zu begreifen, warum im Fall eines atomaren Einschlags ausgerechnet Hunger und Durst zu vermeiden seien. Nach meinen bescheidenen Kenntnissen der Kriegsführung dürfte es ernährungswissenschaftlich unerheblich sein, ob du gerade Hunger oder Durst hast, wenn das Friendly Fire einer Pershing deine Birne aus der Nackenstütze bläst. Kein noch so fein gebratenes Bisonsteak wird sich in deinem Magen wohl fühlen bei der Aussicht auf einen atomaren Nachschlag.

Abgefeuerte Atombomben fördern – um auf die Anweisungen im Schutzraum zurückzukommen – mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Atomschutzbunkern Schlaflosigkeit und Erschöpfung, wenn sie während des Essens angesegelt kommen.

Aber auch für diesen Fall gibt es im Bunker Verhaltensregeln: Nach Panikausbrüchen, heißt es auf dem Schild, müsse man „sich als Führer zeigen“. Ich schätze, das wäre ein Job für unseren Metzinger Steuerberater. Männer mit Grubenlampen vor dem Hirn, wie man sie nachts auch in Parks und im Wald beim Nordic Walking beobachten kann, haben immer Führerqualität.

Als wir die Depots, den Zeig-den-Führer-Bunker und die Gartenwirtschaft von Beuren hinter uns gelassen hatten, sagte uns der Steuerberater mit der Grubenlampe vor dem Hirn, er müsse auf der Fahrt in seine Heimatgemeinde unbedingt eine Rast einlegen. Es sei ihm nämlich, wie stets nach getaner Arbeit im Untergrund, ein dringendes Bedürfnis, sich umgehend bei „Key Ef Si“ zu verköstigen. Ich wiederhole: KFC. Hinter dieser Abkürzung – die Gourmets wissen es – verbirgt sich die Firma Kentucky Fried Chicken, die Krautsalat- und Hühnerkacke-Erfindung des amerikanischen Führungsoffiziers Colonel Sanders.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, liebe Leser, ich schulde Ihnen noch meine Einschätzung der Kriegslage:

Wenn ein Steuerberater aus Metzingen mit einer Grubenlampe vor dem Hirn nach dem Besuch eines Beurener Atomschutzbunkers Hunger bekommt auf die Panade-Keulen von Kentucky Fried Chicken, dann muss die Menschheit endlich begreifen: Die Atombombe ist nicht umsonst erfunden worden.

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